
Die Popkomm ist zurück und versucht im Superwahljahr 2021 Pop und Politik einander näher zu rücken, ihr Spannungsfeld zu erklären und Lösungen für ihre zukünftige Zusammenarbeit zu erdenken. Der dreistündige Streaming-Marathon führt mit popkulturellen Debatten am Corona-Jahr entlang.
Spricht man Menschen, die seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Musikbranche arbeiten, auf die Popkomm an, blickt man augenblicklich in strahlende Augen und erahnt ein wissendes Lächeln, das einem verrät: Man hat da irgendwas wichtiges verpasst. Danach folgen dann meist Geschichten, die in Clubs, Kneipen und mexikanischen Restaurants stattfinden, die heute teilweise gar nicht mehr existieren.
In einen dieser Clubs hat Veranstalter Manfred Tari die Popkomm jetzt zurückgebracht: ins Luxor. Denn es gibt „zahlreiche Gründe, die Popkomm neu zu erfinden“, steht es in der Ankündigung. „Popkomm stand und steht für Pop und Kommunikation.“ Und es gibt guten Grund zu reden: über die aktuelle Corona-Politik, über den Stellenwert von Popkultur in der Politik und politisches Engagement. Dafür wurden Vertreter:innen aus den Bereichen Pop und Politik – darunter Karl Lauterbach (SPD), Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), Susanne Henning-Wellsow (Die Linke), Rembert Stiewe (Orange Blossom Special), Sandra Beckmann (Alarmstufe Rot) und Holger Hübner (Wacken Open Air) – nach Köln eingeladen oder digital zugeschaltet. Moderiert wurde der Abend von Isabel Roudsarabi, (Chefredakteurin Höme für Festivals), Susanne Reimann (Journalistin), Steve Blame (TV Moderator) und Michael Westerhoff (freier Journalist).

„Der Lauterbach ist eingefroren. Den müssen wir nochmal neustarten glaube ich.“

„Wir sind alle kurz vor dem Zusammenbrechen.“



„Wir müssen uns sichtbar machen
und mit einer Stimme an die Politik herantreten!“
Die Lösung? Die Kultur benötigt einen anderen Stellenwert innerhalb der Politik. Das hat auch Sandra Beckmann vom Bündnis Alarmstufe Rot festgestellt: „Wir müssen uns sichtbar machen und mit einer Stimme an die Politik herantreten,“ erklärt sie. Denn das größte Problem der Politik sei es, die Branche überhaupt zu erfassen. 154 verschiedene Branchenzweige und Tätigkeitsfelder in der Veranstaltungswirtschaft mit 56 verschiedenen Veranstaltungsarten hat sie insgesamt gezählt. Wie soll man diese unterschiedlichen Bereiche erfassen? Das funktioniert nur, wenn man sich zusammentut und mit gesammelter Stimme spricht, um dadurch mehr Druck zu erzeugen.
Eine bessere Sichtbarkeit ist auch eine Notwendigkeit, die Marc Wohlrabe (CDU/Livekomm) sieht: Es müssten Kandidaten in den Bundestag eingewählt werden, die sich mit Clubkultur und Kreativwirtschaft auskennen und sich dafür einsetzen, erklärt er. Es reiche nicht aus, außerhalb der Parteipolitik politisches Engagement zu zeigen.
„Wir brauchen mehr Leute aus dem Popkultur- und Musikgeschäft, die Interesse haben politische Kernarbeit zu machen und nicht nur draußen rumstehen und meckern.“
Das könnten zum Beispiel Bundestagskandidat Joe Chialo, Labelchef von Airforce 1 für die CDU, Jens Herrndorff, Manager von Fettes Brot für Bündnis 90/Die Grünen, sowie Daniel Schneider, Chef und Booker des Deichbrand Festivals für die SPD sein, die ihre Ambitionen auch im Rahmen der Popkomm erklären – etwa angesichts der Tatsache, dass Hilfen, die beantragt und bewilligt wurden am Ende wieder zurück gezahlt werden mussten. Jens Herrndorff folgert: „Wir brauchen mehr kulturellen Sachverstand in der Politik. Wir müssen erklären, wie unsere Branche funktioniert!“ Eine Einschätzung die auch Joe Chialo im Kern teilt. Trotzdem ergänzt er, dass das Problem auch an der Branche liegt: „Uns ging es sehr lange viel zu gut. Und das Problem ist, dass wir auf so eine Krise nicht vorbereitet waren.“ Wenn diese Krise überwunden ist, läge es an der Branche selber für die nächste besser vorbereitet zu sein – und das gelte für alle. Auch die Künstler:innen.

Eine unterschiedliche Sprache
Inmitten der der Diskussion um Sichtbarkeit und der Verbindung von Pop und Politik wird ein aufgezeichneter Beitrag von Claudia Roth eingespielt, die vollkommen euphorisch über den hohen Stellenwert von Kultur und speziell Musik schwafelt. „Ja, Musik! Musik ist mein Leben!“ erklärt sie betont energisch, während sie wild mit den Händen gestikuliert und auf ihrem Stuhl unruhig umherwippt. Was danach folgt sind Aneinanderreihungen von Plattitüden über die Bedeutung von Musik und Namedropping von Protestkünstler:innen – die man an sich vorbeirauschen lässt, während man sich ihren Hintergrund genauer anschaut: ein Haufen Bücher und Zeitschriften, die wild durcheinander liegen, links ein abstraktes Bild und rechts ein Bild mit einem Dackel. Nett. …Haltung beweisen! Stellung beziehen. Solidarität. Gesicht zeigen. Stimme erheben. Und so weiter. Nachdem sie die Liste aller Synonyme durchgegangen ist, schlussfolgert sie: „Es braucht verantwortungsbewusste, mutige Menschen und Künstler.“ Und ich denke: Die Popkomm hat Recht, wenn sie auf ihrer Seite schreibt, dass Pop und Politik in Deutschland anscheinend eine grundlegend unterschiedliche Sprache sprechen.


Und trotzdem sind sich an diesem Abend im Kern alle einig: Es braucht Akteur:innen der Kulturbranche, die in die Politik gehen, damit diese so diverse Branche sichtbar wird und gehört wird. Es braucht politischen Aktivismus, es braucht Künstler:innen, wie Disarstar und Danger Dan, die politisches Engagement zeigen, erklärt Isabel Roudsarabi. Und es braucht Fans, die bereit sind noch ein zweites Ticket für ihr Lieblingsfestival zu kaufen, während das erste verfällt, um es am Leben zu erhalten. Und es braucht Veranstaltungen wie die Popkomm, um sich über diese Themen auszutauschen, um Pop und Politik noch näher zusammenzubringen.
Aber dann braucht es vor allem Menschen, die nicht nur meckern, sondern in die Politik gehen um etwas zu verändern.
Denn in Unterhaltung stecke schließlich das Wort Haltung drin, schließt Ole Plogstedt (Rote Gourmet Fraktion) die Veranstaltung. Und in die Youtube Kommentare schreibt jemand: „… und gleich noch zum virtuellen Mexikaner nebenan... wie damals.“
Für alle, die die Popkomm verpasst haben, gibt es die komplette Veranstaltung auf Youtube zum Nachschauen.
