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"Wir machen das hier alle gemeinsam"

Awareness auf dem MS Dockville


Das sich auf einem Festival noch längst nicht alle wohlfühlen und es immer wieder zu Grenzüberschreitungen kommt, ist leider die bittere Realität. Aber viele Veranstaltende und Organisationen versuchen schon seit einer Weile, dem etwas entgegen zu setzen und zwar vor allem durch Awareness-Arbeit vor Ort. Wie die zum Beispiel auf dem MS Dockville aussieht, haben wir für euch näher beleuchtet.

text Isabel Roudsarabi
fotos Karina Kortlüke

lesezeit 7 Minuten

Die Holzverschläge mit pinker Schrift und pinker Diskokugel sind auf dem Gelände des Festivals in Hamburg, Wilhelmsburg kaum zu übersehen. Zwei Stück gibt es, auf gegenüberliegenden Seiten des Geländes, prominent platziert und fast durchgehend mit einer Scharr Freiwilliger in - wie sollte es anders sein - pinken Warnwesten besetzt. An den Ständen stellt das Festival ihr Awarenesskonzept für die Besucher*innen vor. Interessierte können sich hier informieren, wie die Veranstaltenden für mehr Sicherheit und ausreichend Unterstützung bei Übergriffen sorgen wollen.

Was bedeutet Awareness-Arbeit überhaupt?

Im Allgemeinen versteht man unter Awareness-Arbeit den Schutz von und den achtsamen Umgang mit Betroffenen struktureller Diskriminierung oder ganz konkreter Übergriffe. "To be aware" aus dem Englischen bedeutet, sich etwas bewusst zu sein, in diesem Kontext also aufmerksam, vor allem den individuellen Grenzen anderer Menschen gegenüber.

Awareness Teams sind genau dafür da, sich um diese Betroffenen zu kümmern, Unterstützungsarbeit zu leisten. Im Fall des MS Dockville kann man sich an den stationären Awareness Space, die Info-Stände oder an die mobilen Teams wenden, wenn man sich in einer Situation unwohl fühlt, eine grenzüberschreitende Erfahrung gemacht hat oder man gerade einfach überfordert ist. Sarah Bergmann, Mitgründerin des Act Aware, und - gemeinsam mit ihren Vereinskolleg*innen und Teilen des Kopf & Steine Teams - umsetzende Kraft beim Awarenesskonzept des Dockville in diesem Jahr, ergänzt: "Manchmal geht es auch gar nicht unbedingt darum, dass man das Angebot nutzen will, sondern einfach nur, dass man die Sicherheit hat, dass im Falle des Falles Menschen da sind, an die ich mich wenden kann und die mir helfen können. Und allein das macht unfassbar viel aus."


Konzepte sichtbar machen

Die sichtbaren Stände sind dabei eine große Hilfe. Sie dienen nicht nur als Anlaufstelle für Fragen sondern sollen auch Berührungsängste mit dem Thema an sich abbauen. Zum Beispiel, in dem hier Besuchende spielerisch lernen, ihre Privilegien besser zu verstehen: Ich bin weiß, männlich und habe keine sichtbaren oder unsichbaren Behinderungen, muss mir keine Sorgen über das Dach über meinem Kopf oder die nächste Malzeit machen? Dann gehöre ich schonmal zu den eher privilegierteren Menschen - nicht nur auf dem Festival. Und das bedeutet gleichzeitig auch, Rücksicht zu nehmen, auf diejenigen, die andere Voraussetzungen und Lebensumstände haben.

"Ich finde es auch besonders schön, dass das Konzept so in den Spirit des Festivals inkorporiert wird."

Sagt Sarah dazu. Beim Spektrum, Vogelball und Habitat, anderen Festivals des MS Dockville Veranstalters Kopf & Steine, war sie bereits auch mit dabei. Je nach Event gäbe es andere Umstände, unterschiedliche Fokuspunkte, die man beachten müsse. Mal sind es eher Drogen, mal spielt auch das Thema der kulturellen Aneignung eine Rolle. Je nachdem, wie die Problematiken auf einem Festival aussehen, müsse auch das Konzept entsprechend angepasst werden. Beim Dockville war neben der Unterstützungsarbeit also auch die Sichtbarmachung des Themas an sich ein wichtiger Teil der Umsetzung.

Communication is key!

Awareness-Arbeit beginnt aber nicht erst auf dem Festival an sich. Auch vorher können Veranstaltende etwas tun, um sicherzustellen, dass alle sich vor Ort so wohl wie möglich fühlen. Etwa die Maßnahmen im vorab zu kommunizieren oder einen Code of Conduct, also eine Art Spielregelwerk zu veröffentlichen, der ein paar grundsätzliche Leitlinien für das Verhalten untereinander enthält - und der dann natürlich ebenso für die Festivalcrew und weitere Partner*innen und Dienstleistende gilt. Beim Dockville lief das zum Beispiel über einen Instagram Post oder entsprechende Infos in der App.

Und auch die Zusammenstellung des Awareness Teams spielt eine Rolle: Sind die Crewmitglieder geschult? Werden sie angemessen entlohnt?

Ist das Team divers aufgestellt und bildet unterschiedlichste Perspektiven und Ansprechpersonen ab?

Schon allein für den Fall, dass eine betroffene Person zum Beispiel kein deutsch spricht ist das enorm wichtig.

Andersherum sei es natürlich auch sehr hilfreich, vor Ort auch direktes Feedback und Perspektiven von den Besuchenden einsammeln zu können, berichtet Sarah: "Eigentlich ist es durchgehend positiv, interessiert und neugierig. Einige haben den Begriff vielleicht noch nicht gehört, oder die Relevanz noch nicht wirklich verstanden." Aber genau deshalb sei es so wichtig, dass es Awareness auf Festivals gäbe, auch und eigentlich besonders auf den größeren Mainstream-Festivals:

"Bei dem Wissen der Leute über das Thema fängt es eigentlich an und wir wollen sie auch dazu animieren, ihren Teil beizutragen, zu verstehen, wir machen das hier alle gemeinsam."

Beim MS Dockville wurden die ersten Schritte 2019 getan. "[...] auch bei der letzten regulären Version 2019 hatten wir einige Awareness-Regelungen und -Angebote. Natürlich waren Crewmitglieder auch vorher für Erlebende oder Beobachtende von Grenzsituationen ansprechbar oder zu den gängigen Codewörtern wie „Wo ist Panama?“ gebrieft. In diesem Jahr haben wir jedoch erstmalig ein Konzept entwickelt, das alle Veranstaltungen und den Aufbauzeitraum umfasst, um Crewmitglieder gleichermaßen wie Gäst*innen schützen und sensibilisieren zu können," so die Veranstaltenden. In der kommenden Saison sollen beim Dockville, Spektrum und co. mehr Awarenessteams zum Einsatz kommen und die Kommunikation des Konzepts an die Besuchenden so früh wie möglich beginnen: "Wir sehen unsere Arbeit hier auf keinen Fall als abgeschlossen an und sind der Überzeugung, dass wir uns alle als Gesamtgesellschaft in diesem Themenfeld stetig weiterentwickeln müssen."

MS Dockville 2023

18. - 20. August – Hamburg


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