Wie in vielen Bereichen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens gibt es innerhalb der Musikbranche Machthierarchien, von denen Frauen und andere FLINTA-Personen benachteiligt werden. Das führt dazu, dass es oft nicht möglich ist, einfach nur die eigene Arbeit zu machen, sondern sich diese Personen währenddessen auch immer mit Alltags-Sexismus auseinandersetzen müssen.
text Rike van Kleef
redaktion Isabel Roudsarabi
titelbild Chiara Baluch (Noga Erez, Watt en Schlick 2022)
symbolfotos Florian Anhorn, Christian Hedel
grafiken Lea Schütze
lesezeit 8 Minuten
Triggerwarnung
In diesem Text werden die Themen Sexismus und Diskriminierung und sexualisierte Gewalt, insbesondere gegenüber Frauen, nicht-binären/genderqueeren und trans Menschen behandelt.
Wenn ich sowas in der Vergangenheit angesprochen habe, wurden mir meine Diskriminierungs-Erfahrungen häufig abgesprochen. Es handele sich nur um "gefühlte Wahrnehmung," es sei "doch gar nicht so schlimm." Das ist nicht nur frustrierend und respektlos, sondern auch Symptom des Problems, dass die Belange von FLINTA-Personen lange Zeit nicht als wichtig genug betrachtet wurden, um Studien über sie anzufertigen.
Strukturelle Diskriminierungen kann erst dann verhandelt und bearbeitet werden, wenn sie sichtbar gemacht und beschrieben wird.
Deshalb habe ich mich dazu entschieden, mich in meiner Bachelor-Arbeit dem Thema Sexismus und Gender-Imbalance in der Musikbranche zu widmen.
Das Thema ist natürlich riesig. Um einer Antwort zu dieser übergeordneten Frage näher zu kommen, habe ich mich daher im ersten Schritt dazu entschieden, mir das quantitative Verhältnis und damit die Sichtbarkeit und Repräsentanz unterschiedlicher Geschlechter auf den Festivalbühnen der gemäß Statista fünf größten, deutschen Unterhaltungsmusik-Festivals anzuschauen.
Gender Balance ist nicht nur nice-to-have
Wie wichtig das Thema ist, macht besonders die Gender Pay Gap deutlich. Denn nach wie vor verdienen beispielsweise bei der KSK versicherte weibliche Künstler*innen erheblich weniger als ihre männlichen Kollegen (für nicht-binäre/genderqueere Menschen lagen leider keine Daten vor). Auch steigen die Einkommen in absoluten Zahlen und prozentual unterschiedlich schnell. Vermutlich haben die großen Unterschiede in den durchschnittlichen Jahreseinkommen zwischen den Geschlechtern auch etwas mit der Besetzung der Bühnenprogramme zu tun. Denn wenn Musiker*innen, insbesondere FLINTA-Musiker*innen weniger häufig oder auf schlechter bezahlte Slots gebucht werden und somit weniger oder keine Auftritte spielen, dann verdienen sie damit auch weniger Geld. Dieses Phänomen, also dass Frauen u.a. weniger gebucht werden, wird auch als Gender Show Gap bezeichnet.
Das geringere Einkommen führt wiederum dazu, dass Frauen (und vermutlich andere marginalisierte Geschlechter, für deren Einkommen hier leider keine Daten vorlagen) weniger Ressourcen haben, um sich um ihre musikalische Weiterentwicklung und Karriere zu kümmern. Etwa weil Zeit in einen weiteren Job investiert werden muss, um die eigenen Lebenshaltungskosten zu decken, oder weil Geld für Investitionsmaßnahmen in die eigene Karriere fehlt. Es bleibt ein Teufelskreis, der Frauen (und ggf. andere marginalisierte Geschlechter) dazu zwingt, die eigenen Möglichkeiten nicht in vollem Umfang ausschöpfen zu können.
Gender-Equality ist aber nicht nur ein nice-to-have, weil es die Lebensrealitäten von FLINTA-Personen verbessert und sicherer macht. Es ist auch ein ganz konkreter Staatsauftrag und ein durch das Grundgesetz abgesichertes Recht. Das wird spätestens bei der Vergabe staatlich finanzierter Fördergelder relevant.
Ich bin der festen Überzeugung: Die Kulturlandschaft kann sich nur dann weiter entfalten, wachsen und wahrhaftig plural werden, wenn sie verschiedene Perspektiven einbindet und gleichberechtigt zur Teilhabe einlädt.
Ins Verhältnis gesetzt
Das Kernstück meiner Bachelor-Arbeit ist eine systematische Erhebung von Geschlechts-Anteilen in ausgewählten Festival-Programmen. Hierzu wurden die Programme mehrerer deutscher Unterhaltungsmusik-Festivals von 2019 angeschaut, Musiker*innen gezählt und nach Geschlecht* aufgeschlüsselt.
Die Entscheidung fiel auf die gemäß dem kostenpflichtigen Ticketverkauf fünf größten Unterhaltungsmusik-Festivals in Deutschland: BigCityBeats World Club Dome, Parookaville, Wacken Open Air, Fusion-Festival und Rock Am Ring. Im Jahr 2019 vereinten allein diese fünf größten Festivals 415.000 Besucher*innen auf sich.
Die erhöhte mediale Aufmerksamkeit, die diese Veranstaltungen Jahr für Jahr erhalten, kommt auch den auf diesen Festivals spielenden Künstler*innen zugute und manifestiert damit bei stark ungleichgewichtigen Line-up’s potentiell die oben beschriebene Ungleichheiten und Teufelskreise. Deshalb ist es umso wichtiger, sich einmal anzuschauen, wie es mit der Repräsentanz von weiblichen und nicht binären/genderqueeren Künstler*innen auf diesen Major-Festivals aussieht.
Booking von Künstler*innen mit weiblichen und/oder nicht-binären/genderqueeren Mitgliedern im Verhältnis zu rein männlich besetzten Bands:
Headline-Slots von Bands mit weiblichen und/oder nicht-binären/genderqueeren Mitgliedern im Vergleich rein männlich besetzten Bands & Künstlern:
Absolute Zahlen von Einzelmusiker*innen als Solo-Künstler*innen oder innerhalb von Bands:
Repräsentation? Fehlanzeige!
In Deutschland leben ungefähr 42 Millionen Frauen und ungefähr 41 Millionen Männer. Das durchschnittliche Verhältnis von Frauen und Männern auf den Bühnen dieser Festivals ist also eindeutig nicht repräsentativ.**
Mit Ausnahme der Fusion haben noch alle der hier betrachteten Festivals ein sehr unausgewogenes Geschlechterverhältnis in ihrem musikalischen Line-up. Auch ein flüchtiger Blick auf die diesjährigen Line-up’s scheint das zu bestätigen.
Was bleibt und was im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt werden konnte, ist die Frage nach dem Warum.
Warum haben die Booker*innen so entschieden? Warum wurden nicht mehr weibliche und nicht-binäre/genderqueere Künstler*innen gebucht?
Welche Aufbauarbeit muss noch geleistet werden?
Sicher ist: Damit sich etwas ändert, braucht es den Willen und die Gestaltungsfreiheit der Festivals, von Booker*innen und anderen Verantwortlichen, die sich entsprechend sensibilisieren und weiterbilden. Es braucht die Fördermittelgeber*innen, Sponsor*innen, Medienpartner*innen und einflussreiche Künstler (!), die Druck ausüben und diejenigen Festivals unterstützen, die bereits einen Schritt weiter sind. Die Besucher*innen, die Festivals durch Kommentare und Kauf-Entscheidungen beeinflussen können. Und die Forschung, die weiterhin ein Auge darauf haben muss, welche Maßnahmen funktionieren und welche nicht.
*Geschlecht konstruiert sich aus verschiedenen Faktoren. In der Bestimmung für diese Arbeit war alleinig die Selbstidentifikation der Musiker*innen ausschlaggebend, die vor allem über die Sprache (Pronomen, Geschlechtsangaben, Selbstbezeichnungen) etwa in Pressematerialien, Interviews, Spotify-Beschreibungen und/oder Social Media-Profilen der Künstler*innen zu finden sind.
**Gerne wäre diese Arbeit hier auch genauer auf die Repräsentativität von nicht-binären/ genderqueeren und trans Menschen eingegangen, aber leider gibt es hinsichtlich des Bevölkerungsanteils den nicht-binäre/genderqueere und trans Menschen darstellen, keine zuverlässigen Zahlen in Deutschland.
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