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Interview mit dem Ab geht die Lutzi! Festival

Wenn Träume Stück für Stück zu Headlinern werden


Irgendwo in der unterfränkischen Pampa - dort entstand nun schon vor einem Jahrzehnt das Ab geht die Lutzi Festival. Angefangen als Open Air, bespielte das Team 2019 zusammen mit ehrenamtlichen Helfer*innen ein 7 Hektar großes Campingareal und mehrere Bühnen über drei Tage. Wir sprechen mit Christian über die Rolle von Nachhaltigkeit und Gender Equality, wie man es schafft lokale Traditionen und Festivalkultur zu vereinen und was es mit ihrer bezaubernden Namensgeberin auf sich hat.

text Sonni Winkler 
redaktion Jonas Rogge 
fotos Yasemin Ikibas, Lukas Veth, Daniel Peter

Euer Festival gibt es nun schon seit einem Jahrzehnt - wie ist das Ab geht die Lutzi vor 10 Jahren entstanden? Was waren eure größten Schwierigkeiten am Anfang?
Wie so oft war es eine ganz typische Schnapsidee einiger festivalbegeisterter Freunde, die einfach nur von einem eigenen Festival ganz nach ihrem Geschmack träumten. Natürlich sollte da einiges anders laufen, als gedacht. Allerdings wurden Dinge auch besser als erwartet. 2010 ergab sich dann eine Chance, die Pläne in die Tat umzusetzen, da haben wir nicht lange überlegt und haben das Ganze gestartet. Das Konzept war schnell klar: Ein Festival, das in allen Bereichen, von der WC-Situation über Essensangebote bis hin zur Musik beste Qualität zu einem fairen Preis bietet. 

Beim Anschauen eurer Flyer drängt sich daran anschließend die Frage auf - Wer ist diese bezaubernde alte Dame? Und welche Rolle spielt sie für euer Festival?
Unsere Lutzi ist unter anderem Namensgeberin und Maskottchen aber gleichzeitig noch viel mehr. Sie existiert natürlich und wohnt auch nur einige Meter neben dem Festivalgelände. Jeder im Team und auch eine Menge Stammgäste kennen sie persönlich. Sie verpasst keinen Festivaltag, gibt Interviews, unterhält sich mit Gästen und lässt sich auch gern von ihnen fotografieren. Zwischendurch schaut sie auch mal auf der Bühne vorbei, um Hallo zu sagen. Bei der Gelegenheit lässt sie sich auch gern mal ein Ständchen singen - von Ingo von den Donots!


Auch außerhalb des Festivals ist sie für fast jeden Spaß zu haben und ist auch mit über 70 Jahren fester Bestandteil des Festivalteams.

Wie seid ihr organisiert und wer arbeitet beim Festival mit?
Wir sind ein gemeinnütziger Verein und arbeiten alle rein ehrenamtlich für das Festival. Alle unserer Gewinne fließen in Spenden für gemeinnützige Organisationen, unseren Verein oder direkt zurück ans Festival selbst. Aus einer Hand voll Freunden ist mittlerweile ein Orga-Team aus ca. 25 Leuten geworden. Zum Festival selbst arbeiten ungefähr 280 Menschen zusammen. Viele der Helfer*innen, die uns unterstützen kommen hier aus dem Ort [Oerlenbach, in Unterfranken, 900-1.000 Einwohner, Anm. d. Red.]. In den letzten Jahren kommen immer mehr Menschen aus der Region dazu, die einfach Lust haben mal hinter die Kulissen unseres Festivals zu schauen.

Ihr habt mit einem Tag begonnen und veranstaltet nun ein ganzes Festivalwochenende - Welche Veränderungen haben dazu geführt, dass ihr Eure Veranstaltung so ausbauen konntet?
Zu Beginn war es eher ein Open Air, als der zweite und dritte Tag dazu kam, wurde es ein richtiges Festival. Eigentlich bestand die Idee mit Camping, und allem was dazu gehört, schon von der ersten Stunde an. Doch alles zu Beginn umzusetzen, wäre utopisch gewesen.
Es kamen mehr und mehr Leute mit immer weiterer Anreise, so wurde eine Campingmöglichkeit unumgänglich. Angefangen mit einer kleinen Wiese und einzelnen Camps, entstand irgendwann ein 7 Hektar großes Campingareal mit Biergarten, Saunabereich und Open Air-Duschen.
Da die Leute sowieso schon über Nacht hier waren, wurde 2013 überlegt auch direkt einen zweiten Tag mit Bühnenshow anzubieten. Ähnlich lief es dann 2019 als, eigentlich einmalig und nur zum 10. Jubiläum, der 3. Tag dazu kam. Das kam bei Team und Gästen aber so gut an das wir es beibehalten wollen. Es ist irgendwie noch viel schöner, wenn ein Festival einen mittleren Tag hat und nicht nur den ersten und den letzten!


Was sind in euren Augen die größten Meilensteine in der bisherigen Entwicklung des Ab geht die Lutzi Festivals?
2010 – Gründung, hat irgendwie hingehauen.
2013 – 2 Tage Lutzi Festival und ITCHY (damals noch POOPZKID) waren Headliner. Ein Ziel, das wir uns zu Beginn gesetzt hatten, aber ehrlich gesagt nie so recht glaubten es zu erreichen.
2015 – Neues Campingareal eingeweiht.
2016 – DONOTS - ein weiterer Headliner-Traum wurde wahr. 
2017 – Das Campingareal wurde auf 7 Hektar erweitert (ca. verdreifacht).
2019 – 10 Jahre Lutzi Festival! Und das Team aus 2010 ist fast vollständig noch zusammen!

Von Anfang an stellt man in eurem Programm fest, dass ihr euch ungern auf ein Genre festlegen wollt -  wie ist diese Vielseitigkeit entstanden? Konntet ihr euch einfach nicht einigen?
Es war nie unser Plan, ein bestimmtes Genre zu bedienen. Wir sind ein sehr bunt gemischtes Team - so auch unser Musikgeschmack. Dadurch entstand bereits während den Planungen im ersten Jahr eine zweite und dritte Bühne - in den Anfangsjahren noch nach Rock / Punk, Hip Hop und Electro sortiert. Doch seit einiger Zeit ist das alles vollkommen durcheinander.
Gebucht wird was gefällt und zu uns und unseren Gästen passt. Durch die Vielfalt im Programm gibt es für die Gäste des Lutzi Festivals immer wieder Neues zu entdecken.

Was ist der Anspruch, den ihr beim Booking an euer Line-up stellt?
Wir versuchen ein möglichst abwechslungsreiches Programm zusammenzustellen. Besonders wichtig ist uns jedoch auch, für lokale Künstler und Newcomer einen Platz im Programm zu schaffen. Natürlich achten wir auch auf die Einstellung und politische Haltung, die die Künstler vertreten und gerne den Gästen vermitteln sollen. 

Themen wie Nachhaltigkeit oder Gender Equality auf und hinter der Bühne werden immer relevanter im Festivalkontext. Gibt es konkrete Maßnahmen, mit denen ihr als Festival einen Beitrag zu diesen Fragen leisten könnt?
Nachhaltigkeit ist uns selbst immer wichtiger und wir arbeiten mit Hochdruck an verschiedensten Themen. Allerdings ist uns auch bewusst, dass da noch Luft nach oben ist. Es ist einfach an vielen Stellen nicht so einfach, wie es sich anhört. 
Dinge wie Müllpfand, Mehrwegbecher, Goldeimer-Toiletten und Pfand funktionieren schon super. Aufrufe, Müll zu vermeiden und alle Reste wegzuräumen, Foodsharing zu betreiben und mit der Bahn anzureisen werden von Jahr zu Jahr besser angenommen. Für das nächste Mal ist ein Projekt neu angedacht, bei dem Kippen mit Hilfe von Taschenaschern recycelt werden sollen. Einweggeschirr soll nun endlich komplett verschwinden und es wird nur noch Strohhalme aus komplett abbaubaren Apfelresten geben.

Gender Equality funktioniert hinter den Kulissen bei uns super. Wir haben ein sehr gemischtes Team in allen Bereichen. Auf den Bühnen ist es oft nicht so einfach. Zum einen, weil die Branche da ja immer noch deutlich zu männerlastig ist. Zum anderen, weil natürlich auch nicht immer jede Band, die man haben möchte, verfügbar ist. Wir haben das schon auf dem Schirm, aber das Line-up setzt sich so nach und nach zusammen und es entscheiden dann oft auch andere Kriterien, wer zum Ende hin dazukommt. Wir sind aber mit unserer Quote zufrieden.

In eurem Aftermovie hab ich gesehen, dass die Besucher*innen im Wald spielen konnten und ein Orchester in Trachten aufgetreten ist. Versucht ihr den Leuten beim Feiern auch ein wenig unterfränkischen Lokalbezug mit zu vermitteln?
Die Bilder im Wald sind wohl von der Schnitzeljagd, die wir 2019 erstmals ausprobiert haben und die direkt super ankam. Camper wandern durch die angrenzenden Wiesen und Wälder und müssen kleine Spiele und Rätsel lösen um die richtige Strecke zurück zum Festival zu finden. Das Orchester ist die lokale Blaskapelle, die traditionell beim Frühschoppen mit Weißbier und Weißwürsten am Campinggelände spielt. Natürlich ist es sehr schön, wenn man dem Festival anmerkt, dass es in einem kleinen Ort in Franken steigt und wie schön es auch hier direkt vor der Haustür ist.

Wenn ihr ein unbegrenztes Budget hättet…
… was wäre euer Traumact?
Da gibt es im Team sehr unterschiedliche Meinungen. Ich wäre ja für MY CHEMICAL ROMANCE.

 … welche Attraktion würdet ihr sofort auf dem Gelände integrieren?
...vielleicht Porzellan-Toiletten for free.

welche Maßnahmen in eurer Infrastruktur würden endlich umgesetzt werden?
...ein ausreichender Stromanschluss, um die Aggis [gemeint sind Aggregatoren, benzinbetriebene Generatoren Anm.d.Red.] loszuwerden.

Glaubt ihr, ihr würdet eine Absage dieses Jahr überstehen und im nächsten Jahr wieder am Start sein?
Wir sind als Verein und rein ehrenamtlich tätig. Das macht die Situation hier etwas leichter aber es bleibt dennoch sehr schwierig. Wir gehen ganz fest davon aus, 2021 im Juni wieder da zu sein und planen parallel bereits alles was dafür nötig ist. 

[Anm. d. Red. Das Interview wurde vor der offiziellen Absage des diesjährigen Ab geht die Lutzi! Festivals gemacht. Leider trifft die Corona-Krise auch hier schwer ins Herz der Fans. Doch das Lutzi-Team hat sich überlegt, dass Besucher*innen einfach ihr diesjähriges Ticket an gemeinnützige Organisationen spenden können]
Jetzt erst recht!

Was sind eure Wünsche für die Zukunft der Menschheit, der Welt, der Festivalbranche und eures Festivals?
Wir wünschen uns natürlich, dass wir alle zusammen gut durch diese schwierige Zeit kommen. Wir wünschen uns, dass die Konzert- und Festivalbranche gemeinsam durch die Krise geht. Und wir hoffen und wünschen uns, dass auch nach der Krise alle Festivals um uns herum und alle Leute, die diese so einzigartig machen, auch 2021 noch da sind und die Krise Geschichte ist. Fürs Lutzi wünsche ich mir, dass wir noch viele Lutzi Festivals in dieser Form erleben dürfen.

Habt ihr noch eine Botschaft an alle Besucher*innen und Festivalschaffenden, die ihr noch kurz los werden wollt?
Haltet die Ohren steif und bleibt euren Lieblingsfestivals treu! Dann sehen wir uns auch alle bald wieder.

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Sonni Winkler

Hello, ich bin Sonni von Höme. Wat'n Satz - ich weiß noch wie ich im Winter 2018 völlig zerstreut und aufgeregt immer wieder über meine Bewerbungsmail gegangen bin und mich nicht getraut habe sie abzuschicken. Plötzlich saß ich bei Isi und Jojo und trank das erste Bier im Büro in Berlin (ahhh Alliteration, toll). Seitdem brennt es in mir. Es ist einfach nur ein Traum mit all diesen fabelhaften und unheimlich smarten Leuten zusammen an dieser Riesenutopie rumzutüddeln. Ich selbst schreibe ab und zu, mache dies und das – sehe mich aber eigentlich als unautorisierte Feel-Good-Managerin. Momentan bin ich outgesourced in Köln und versuche mich hier in die Film-und Fernsehbranche zu schmuggeln. Das Allerbeste ist, dass mit den Hömies nicht nur das gemeinsame Trinken Freude bringt, sondern auch, vielleicht sogar vor allem, der kollektive Kater morgens im Zelt.

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