text Isabel Roudsarabi
redaktion Tina Huynh-Le
fotos Leonard Berner, Nino Vogt, Stemweder Open Air
Seit mittlerweile 42 Jahren existiert das Stemweder Open Air bereits. Das Umsonst-und-Draußen Festival, gelegen in der gleichnamigen Gemeinde zwischen Osnabrück und Bremen, unterscheidet sich in vielen Punkten von ähnlichen Veranstaltungen. Nicht nur ist es ehrenamtlich organisiert, sondern gleichzeitig auch – genau – umsonst. Eine Rarität auf dem Festivalmarkt.
Seine lange Geschichte macht das Stemweder zu einem der ältesten Open Airs Deutschlands, beherbergt unzählige Anekdoten und überdauert mittlerweile drei Generationen.
Florian Redeker und Klaus und Friederike Riechmann erzählen uns sehr enthusiastisch und voller Liebe über Organisationsstrukturen, Entwicklung und Besonderheiten des Festivals, an dem sie alle schon jahrelang beteiligt sind.
Wir sind halt nicht so rundgelutscht und durchprofessionalisiert.
Mögt ihr euch zu Beginn einmal kurz vorstellen?
Florian: Ich bin ursprünglich mal über das Jugendzentrum in Stemwede, bei dem ich ehrenamtlich aktiv war, zum Festival gekommen. Im Sommer werden da immer alle nervös, weil am dritten August Wochenende das Open Air ansteht. Es war dann ein ganz natürlicher Prozess, dass ich dort nach und nach Aufgaben übernommen habe. Am Anfang, vor etwa 15 Jahren, zum Beispiel als Aufbauhelfer oder bei irgendwelchen Campingplatz-Geschichten. Später habe ich die PR Koordination mit übernommen – die Gestaltung des Programmhefts, der Plakate und Flyer. Das hat mich auch vorher schon immer interessiert und ich habe mich bemüht, die Dinge zu verbessern und voranzutreiben. Ein bisschen was mache ich immer noch, anderes habe ich abgegeben. Seit 2012 kümmere ich mich mit ein paar Freunden um das “Sonnensystem”, eine Singer/Songwriter Bühne, auf der nachts Elektro gespielt wird.
Friederike: Ich gehöre mit drei weiteren Leuten zu dem Team, das sich mit der Wiesenbühne beschäftigt. Beim Festival dabei bin ich seit ich so 11 oder 12 war. Vorher haben mich meine Eltern schon das ein oder andere Mal mitgenommen, aber ab dann habe ich auch geholfen. Am Anfang habe ich, zusammen mit zwei Freundinnen, die ich direkt rekrutiert habe, erstmal die Küche unterstützt. 2007, mit knapp 16, übernahmen wir dann die Verantwortung für die Stage. Am Festival-Wochenende kümmere ich mich um die KünstlerInnen-Betreuung.
Klaus: Das erste Jahr, in dem ich mitgeholfen habe, war 1987. Zu Beginn habe ich mich um die Parkplatz-Infrastruktur gekümmert, inzwischen bin ich Vorstandsvorsitzender beim Life House, einem Bistro in dem auch Kinderbetreuung, Seminare und Fortbildungen stattfinden und das vom Verein betrieben wird. Dort machen wir Jungend- und Bildungsarbeit. Meine momentane Aufgabe beim Festival: Ich bin der Landvermesser. Ich stecke sämtliche Wege ab, damit die anderen sie später abflattern können.
Wie setzt sich denn euer Orga-Team überhaupt zusammen? Wer kann mitmachen?
Florian: Prinzipiell kann jeder mitmachen. Es gibt den harten Kern, der sehr nah sowohl am Festival als auch am Verein arbeitet. Der Vorstand besteht zum Beispiel aus einigen alten Hasen, die von Anfang an mit dabei waren und Leuten, die sich entweder nur sehr intensiv mit dem Festival beschäftigen oder auch mit dem Verein. Die arbeiten das ganze Jahr an der Veranstaltung. Für sie gilt: Nach dem Festival ist vor dem Festival. Für einige eben auch schon seit 42 Jahren. Daneben steht ein größerer Teil an Menschen, die besonders ums Festival herum und am Wochenende selber sehr viel Verantwortung übernehmen. Dann gibt es nochmal einen ganz großen Kreis an Ehrenamtlichen, etwa 350 Menschen, die beim Festival Schichten übernehmen. Da kann eigentlich jeder mithelfen.
Klaus: Der Festivalsenat trifft sich einmal im Monat, etwa um Helfer zu akquirieren oder über Themen zu sprechen, die nicht den einzelnen Teams zugeordnet sind. Insgesamt herrschen aber bei uns im Verein flache Hierarchien und wir versuchen alles im Konsens zu entscheiden. Das hat mit Sicherheit auch dazu beigetragen, dass es uns schon so lange gibt.
Florian: Viele Entscheidungen passieren allerdings autonom. Die Bühnen sind alle autark voneinander, da gibt es verhältnismäßig wenig Abstimmung. Die ganzen Grafik- und Kommunikationsaufgaben kläre ich digital mit dem Designer Team.
...Sofa mit zum Zelten genommen und sonntags vor Abreise angezündet.
Wie ist 1976 die Idee zu dem Festival entstanden? Und wie hat es sich dann in den letzten 42 Jahren weiterentwickelt?
Klaus: ’74 wurde das Jugendzentrum in Stemwede als Initiative gegründet, etwa zehn Jahre später entstand daraus der Verein Jugend, Freizeit und Kultur, der das Festival auch heute noch organisiert. Zunächst bestand die Veranstaltung lediglich aus einer Trailer-Bühne und improvisierter Infrastruktur, im ersten Jahr kamen etwa 50 Besucher.
Florian: In den folgenden Jahren wurde das Open Air dann schnell größer, so dass später mehrmals das Gelände gewechselt werden musste, um sich an die steigende Besucheranzahl anzupassen. 1986 hat man dann die Location im Ilweder Wäldchen gefunden, bei der wir bis heute geblieben sind. Mit dem Wachstum veränderte sich auch das Booking, wurde etwa zwischendurch ein bisschen punkiger.
Friederike: Wir sind auf jeden Fall auch ein bisschen bunter geworden und geben uns immer mehr Mühe, es für den Besucher auch schön aussehen zu lassen, durch ein paar kleine Deko-Elemente, zum Beispiel Lichterketten, sowas.
Klaus: Veränderungen bei den Besuchern gab es auch. Ich erinnere mich noch daran, wie eine ältere Dame aus der Ortschaft mal erzählte, dass in den ersten Jahren das Publikum ziemlich bunt gemischt war. Da gab‘s mal ne Zeit, wo eher so Lederjacken getragen wurden. Dann kamen die ganzen Leute mit ihren Bauwagen und später wurden es dann mehr Punks mit bunten Outfits. Inzwischen kommen kleine Kinder wie auch ältere Herrschaften. Es bleibt einfach ein Ereignis auf dem Dorf, das man sich gerne mal anschaut.
Florian: Mittlerweile sind wir eher auf Kontinuität aus. Wenn man das Ganze über 40 Jahre gemacht hat, dann werden viele Abläufe einfach zu ‘nem Selbstläufer. Da sind dann keine Bestrebungen mehr: Nicht größer, höher, weiter, sondern eher: Wir bleiben so wie wir sind.
Was macht gerade das Stemweder so besonders?
Klaus: Der Kult ist der Campingplatz. Viele kommen, um Leute zu treffen und zusammen zu feiern.
Friederike: Wir wünschen uns jedes Jahr, dass der ein oder andere mal über das Gelände läuft und nicht die ganze Zeit im Camp verbringt.
Klaus: Früher wurde auch mal das ein oder andere Sofa mit zum Zelten genommen und sonntags vor Abreise angezündet. Irgendwann haben wir sie dann verboten. Letztes Jahr hat ein Auto angefangen zu brennen. Vor vier, fünf Jahren waren es sogar mehrere. Ab und zu sind also schon sehr verrückte Dinge passiert, aber wir hatten immer kompetente Helfer, die schnell vor Ort waren und sich eingesetzt haben.
Friederike: Auch übernehmen wir unser komplettes Catering selbst. Vieles wird schon im Jugendzentrum vorbereitet, sodass es auf dem Festival nicht mehr so viel Arbeit ist. Irgendjemand bringt auch immer was mit, Kuchen zum Beispiel oder selbstgemachte Marmeladen.
Klaus: Von morgens um sechs bis nachts um zwei gibt es bei uns immer was zu essen. Dabei kümmern sich viele der älteren Generationen eher darum und um die Koordination des Parkplatzes. Die Verantwortlichen der Wiesenbühne sind im Gegensatz dazu alle unter 30. Bei uns ist fast jede Altersgruppe in der Organisation vertreten. Die Älteren bringen oft Kontinuität, die Jüngeren neue Ansätze und Ideen.
Der größte Teil des Festivals wird aus den Campingplatz Einnahmen finanziert.
Ihr seid ja jetzt auch alle schon eine Weile dabei. Wie sieht es mit eurer persönlichen Motivation aus, beim Open Air mitzuwirken?
Friederike: Es macht einfach Spaß, so eine Veranstaltung zu schaffen. Wenn das Gelände steht, sieht man sehr plastisch, worauf man über eine so lange Zeit hingearbeitet hat. Und natürlich die Arbeit in einer Gruppe und der gute Zusammenhalt aller Beteiligten. Man hat immer das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein.
Florian: Dann ist es bestimmt auch ein Stück weit Heimatverbundenheit. Ich wohne jetzt zwar in Berlin, aber das Festival ist immer ein perfekter Grund, mal wieder in die Heimat zu fahren und etwas mit Leuten zu machen, mit denen man schon immer etwas gemacht hat.
Klaus: Nach dem Festival denkt man sich manchmal: Den Scheiß mache ich nicht nochmal. Aber natürlich ist es immer wieder die ganze Anstrengung Wert. Ohne Fußcreme und Sicherheitsschuhe gehe ich aber nicht mehr auf den Platz.
Es gibt jedes Jahr etwas, wo man improvisieren muss, es kommen immer wieder neue Dinge auf einen zu. Und wir kriegen‘s jedes Jahr hin. Dann ist man einfach stolz, zu sehen, dass die Veranstaltung doch immer noch wächst, wenn auch eher indirekt.
Friederike: Freitags, wenn die erste Band anfängt und man weiß, dass alles steht und alles gut ist, man aber noch nicht in dem Stress der Veranstaltung versunken ist – das ist auch so ein Moment, für den es sich einfach lohnt.
Da das Festival ja aus einem ehrenamtlich Verein heraus organisiert wird und ihr dazu noch ein Umsonst und Draußen seid, ist das Budget doch bestimmt nicht so enorm wie bei anderen Festivals. Wie sieht das also mit eurer Finanzierung aus?
Florian: Genau diese zwei Dinge zusammen zeichnen unser Festival so aus. Aber logischerweise bringen sie auch viele finanzielle Herausforderungen mit sich.
Wir arbeiten beispielsweise mit einer lokalen Brauerei zusammen, das wollen wir aus unterschiedlichen Gründen nicht aufgeben. Daneben gibt es schon auch noch etwas Sponsoring, Tabak etwa oder kleine lokale Anzeigenkunden.
Klaus: Vielleicht ist es aber auch mal an der Zeit sich nach größeren oder mehr Sponsoren umzuschauen. Der größte Teil des Festivals wird momentan aus den Campingplatz Einnahmen finanziert, für den wir eine Pauschale von fünf Euro pro Tag berechnen, einiges auch aus den Bierverkäufen.
Florian: Dazu kommt dann auch, dass wir selbst keine Anzeigen schalten, nicht im Festivalguide auftauchen etc., unsere Marke also einfach nicht so bekannt ist. Für einige Sponsoren ist man aufgrund all dieser Faktoren nicht unbedingt attraktiv.
Wir sind halt nicht so rundgelutscht und durchprofessionalisiert wie andere, nicht so konzeptionalisiert und tutti frutti. Viele Sachen sind schon halt auch ein bisschen rough und sehen nicht perfekt aus. Aber gerade das macht für viele Besucher wahrscheinlich auch den Charme des Stemweder aus.
Was passiert denn mit Gewinnen, die erwirtschaftet werden?
Klaus: Alles, was übrig bleibt, geht in die Kinder- und Jugendarbeit des Vereins. Wenn wir also mal Pech mit dem Wetter hätten, würden da auch deren hauptamtliche Mitarbeiter drunter leiden.
Worauf achtet ihr besonders bei der Konzeption eures Bookings? Was ist euch da am wichtigsten?
Friederike: Uns ist bei allen KünstlerInnen wichtig, dass sie auch wirklich Spaß haben. Wir nehmen die Bands, wenn sie ankommen, auch tatsächlich einmal mit über den Platz und erzählen denen, wo sie essen können, wo sie was finden. Wir versuchen, uns so gut es geht um jeden zu kümmern, auch wenn wir eben nicht die höchsten Gagen zahlen können.
Florian: Das gesamte Booking muss eben durch die Bierverkäufe und Sponsoringeinnahmen gestemmt werden. Je mehr Leute also kommen, desto mehr Bier verkaufen wir, desto mehr können wir auch den Bands zahlen.
Friederike: Auf der Wiesenbühne treten zum Beispiel hauptsächlich lokale MusikerInnen auf, die sich bei uns bewerben oder die wir selber auf Konzerten gesehen haben. Gerade die haben meistens richtig Bock bei uns zu spielen. Durch die Tapes, die sie uns schicken, bekommt man meist schon einen ganz guten Eindruck. Über die Jahre wird man auch besser darin, einzuschätzen, wer auf dem Demo zwar gut klingt, aber live vielleicht nicht ganz so überzeugend sein wird oder umgekehrt.
Florian: Insgesamt kann das Stemweder mittlerweile ein sehr buntes, lokales, aber auch internationales Line-Up bieten. Von Ska über Reggae bis Techno ist alles dabei. Auch künstlerische Beiträge gibt es zu sehen.
Was wünscht ihr euch für die kommenden Jahre des Stemweder? Gibt es Pläne, das Festival weiter zu vergrößern?
Florian: Ich denke, gerade ist so ein Punkt erreicht, an dem es auch mal reicht. Wir haben etwa 12.000 Besucher jedes Jahr und sind damit super zufrieden. Konkrete Ambitionen gibt es eher wenige, wir nehmen eher alles so, wie es kommt.
Klaus: Vor ein paar Jahren gab es mal ein Inklusions-Projekt, das sich zu einer genialen Aktion auf dem Festival entwickelt hat, bei der Instrumente aus Alltagsgegenständen gebastelt werden. Vielleicht könnte man in Zukunft auf ähnliche Art und Weise auch Geflüchteten das Festival näherbringen. Man kann aber nichts erzwingen, das kommt einfach organisch.
Gerade ist es auch ein bisschen schwierig mit der Location, aber wir arbeiten an einer Lösung. Ich würde mir wünschen, dass es in Zukunft eine schöne Zusammenarbeit mit den Bauern gibt, die über das Jahr unseren Platz bewirtschaften. Es sind einfach solche Kleinigkeiten, bei denen immer wieder ein bisschen Innovation gefragt ist. Da könnten wir vielleicht etwas mehr Kontinuität gebrauchen.
Gibt es etwas, das ihr zum Schluss unbedingt noch loswerden wollt?
Florian: Es ist einfach total schön, mit anderen Leuten zusammen Dinge zu organisieren und am Schluss zu sehen, wie es dann funktioniert hat. Außerdem ist es sehr schwierig, mit etwas aufzuhören, was man schon zehn Jahre lang gemacht hat.
Klaus: Ich finde es wichtig, dass die Besucher ein größeres Bewusstsein dafür bekommen, dass das Festival ehrenamtlich organisiert wird und sich wirklich alle Beteiligten den Hintern aufreißen, um es auf die Beine zu stellen. Einige nehmen sich 10 Tage Urlaub, damit sie in der Produktionswoche und beim Abbau voll dabei sein können. Wir sind alle früher oder später von morgens bis abends auf dem Platz und geben einen ganz großen Teil unserer Zeit und Kraft in die Veranstaltung. Natürlich, weil wir Lust dazu haben, aber eben auch, um Besuchern wie Ehrenamtlichen ein tolles Wochenende zu ermöglichen.
Friederike: Es gab allerdings auch schonmal Zeiten, in denen die Leute das weniger verstanden haben. Ich glaube wir sind auf einem guten Weg.