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Stadt – Land – Festival


Das WeGoApart with ART holt die Stadt aufs Land

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Olivia Busse

Isabel Roudsarabi

Dominik Schabel

5 Minuten

"Was geht schon auf’m Dorf?" Als Parole einer in der Stadt wohnenden Person klingt das kaum anders als ein Ausdruck der Hybris eines*r Kulturverwöhnten. "Aber was geht schon auf dem Dorf?" Aus dem Mund eines*r clubreifen Teenager*in auf der Suche nach dem Reiz erster nächtlicher Eskapaden klingt das schon ganz anders.

Nix. Genau, aber das lässt sich ändern – und damit beginnt die Geschichte der jungen Festivalschaffenden des WeGoApart with ART Festival in Neukirch in der Lausitz, in der Nähe von Dresden.
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„In dem Haus dort drüben bin ich aufgewachsen“, erzählt Johannes-Paul Richter, 20 Jahre alt und seit 2020 einer der Veranstalter*innen des Festivals, auf dessen Gelände er sich gerade befinden. Er zeigt auf ein großes, mehrstöckiges Landhaus mit weißer Fassade, roten Fensterläden und grünen Details. Lässt mensch die Augen über die weiten, saftig-grünen Wiesen streifen, die das Haus mit einem riesigen Garten umgeben – wenig vergleichbar mit der Größe eines städtischen Vorgartens – wird schnell klar, dass üblicherweise genau dieses Haus wohl der Blickfang des Ortes ist. Hangabwärts steht ein weiteres, weniger auffälligeres Gebäude, das Vereinshaus der Motorsportfreunde Valtental e.V., wie sich später herausstellt. 
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An diesem Wochenende Mitte August allerdings, konkurrieren viele weitere Seheindrücke mit Johannes-Pauls Elternhaus. Da sind die bunten, springenden Farben des Festivalzeltplatzes gleich rechts bei Ankunft auf dem Gelände. Dann, am linken Rand des Sichtfeldes, sind einige Autostellplätze ausgeschildert. Läuft mensch die Campingwiese zu seiner rechten und eine mit Obstbäumen bestellten, freigehaltenen Wiese zu seiner linken ab, geht es entweder runter zur Mainstage oder am Awarenesszelt und einem Essensstand vorbei geradewegs auf ein Volleyballfeld zu. Von dort eröffnet sich der Blick auf eine kleine Zweitbühne. Sie ist als verlassenes Dorf geschmückt und lässt die tanzende Menschenansammlung davor von außen gelegentlich wie einen festlichen Zwergenaufmarsch aussehen.

Nicht nur Johannes-Paul (20), sondern auch die anderen Veranstaltenden des Festivals, Flora Beutel (21), Matteo Schwarzbach (21), Leonard Wolff (22), Mauritius Lorenz (22) sind hier in der Gegend auf dem Land aufgewachsen – knappe 25 Autominuten von Bautzen entfernt, unweit der tschechischen Grenze.

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 „Wenn man von hier kommt, dann hat man nicht so viel, was man machen kann. Natürlich finden die typischen Partys und Homes statt und kulturell gesehen kann man beispielsweise ins Theater gehen. Aber das Angebot wird niemals so viel und vor allem vielfältig sein, wie in der Stadt“
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 „Wenn man von hier kommt, dann hat man nicht so viel, was man machen kann. Natürlich finden die typischen Partys und Homes statt und kulturell gesehen kann man beispielsweise ins Theater gehen. Aber das Angebot wird niemals so viel und vor allem vielfältig sein, wie in der Stadt“
So beginnt Johannes-Paul die Geschichte zu erzählen, wie er und der Rest des Teams 2020 als 17-jährige dazu gekommen sind, nichts Geringeres als ein gesamtes Festival auf die Beine zu stellen. „Wenn wir als Jugendliche was unternehmen wollten, dann sind wir in die umliegenden Städte, nach Dresden, Berlin und so weiter. Auch deswegen wollten wir mit 17 alle wegziehen.“ Unter den Freund*innen entstand dabei jedoch die Sehnsucht nach etwas, das sie weiterhin untereinander und mit ihrer Heimat verbindet: „Das Festival wollten wir dann als eine Art Heimathaken nutzen.“
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Im ersten Jahr habe das Festival noch auf einer Wiese auf der gegenüberliegenden Bachseite stattgefunden und circa 300 Besuchende angezogen, darunter viele Bekannte des jungen Festivalteams. Mittlerweile versammeln sich hier um die 1.000 Besuchende aus ganz Deutschland, viele Jugendliche und junge Menschen kommen aus Dresden und Leipzig, vereinzelt auch aus Stuttgart, Hamburg und sogar aus Italien. Für Ticketkäufer*innen aus Berlin, die ebenso einen entscheidenden Anteil der Besuchenden ausmachen, gibt es die Möglichkeit, zusätzlich zu dem Eintritt eine Karte für den festivaleigenen Reiseshuttle direkt vom Alexanderplatz an den Zeltplatz zu buchen. Die steigende Besuchendenzahl hält die drei Festivalbesucherinnen Imina (19 Jahre), Naya (18 Jahre) und Aline (20 Jahre) aus Dresden nicht davon ab festzustellen, dass gerade der klein gehaltene Rahmen und der familiäre Vibe des WeGoApart with ART das Festival für sie ausmacht: „Es ist schon so ein bisschen die Neustadt verlagert in die Lausitz.“ Mit einem Schmunzeln schieben die drei Freundinnen die Erklärung hinterher: „Die Neustadt ist wie eines der Hipster-Viertel aus Berlin nur halt in Dresden. Die alternative, grüne Insel im braunen Meer. Die ganzen Leute aus der Neustadt, die trifft man hier alle wieder und es ist auch echt so ein bisschen wie ein Familientreffen geworden. Die, die weggezogen sind, kommen oft für das Festival wieder her und das ist ziemlich cool.“ 

 

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Wie die Veranstaltenden so die Besuchenden.

Die Vision vom „Heimathaken“ ist also aufgegangen. Und mehr noch – dem WeGoApart with ART gelingt es, die Stadt aufs Land zu holen. Eben diese „Stadt-Land-Verbindung zu schaffen“, betont Johannes-Paul, sei ihnen als Veranstaltende so wichtig: „Wir als jugendliche Menschen sind immer in die Städte gefahren, aber es war nie andersherum. "Wir wollen den Leuten zeigen: 'Hey auf dem Dorf geht auch mal was!‘ Gleichzeitig finden wir so unseren Weg, auch dem Dorf was zurückzugeben: Leute verbinden, mehr Vielfalt in das Leben der Menschen hier bringen.“ Das Festival nutzen sie als Gelegenheit, Kunstschaffende aller Art zusammenzubringen. Nicht nur in Form von Musik auf der Bühne, sondern auch mit gemalter und gedruckter Kunst in einer kleinen Galerie auf dem Infield und weiterem Rahmenprogramm, beispielsweise einem Graffiti-Workshop. 
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Die Unterstützung bei dem Vorhaben der jungen Festivalschaffenden ist groß, von Eltern und Bekannten, aber auch durch die lokale Agrarwirtschaft und eben dem Verein der Motorsportfreunde, der ebenfalls Veranstaltungen für die Ortschaft ins Leben ruft. An diesem Wochenende trifft mensch sich an dessen rechter Hausfassade, um sich die Zähne zu putzen. „Wir haben gemerkt, entgegen auch womöglich gängiger Erwartung­, dass viele und gerade die Älteren es gut finden, wenn junge Leute sich engagieren und einfach mal was machen.“

Bei ihrem Engagement zeigen sich die Veranstaltenden bescheiden und lassen keinen Moment aus, um sich Feedback von ihren Besuchenden einzuholen und zu erfahren, wo es noch nicht so gut läuft und was sie besser machen können.

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„Bei uns ist alles learning by doing, step by step. Wir hatten im Vorhinein keinerlei Erfahrung, wir wussten nur, dass wir Lust hatten und – die „Blindheit der Jugend“ – noch nicht, was alles dahintersteckt“

Johannes-Paul erklärt: „Wir haben halt einfach gemacht und sind so in die Rolle hineingewachsen und so ist es heute immer noch.“

Im Zuge der Festivalvorbereitungen kommen die Freund*innen, die mittlerweile in Dresden, Berlin und Leipzig leben, jedes Jahr zu einer Handvoll an „working weekends“ zusammen. Die Zeit, sich gerade auch in Person zu treffen, ist knapp, alle studieren nebenbei oder machen Ausbildungen. Wenn es im Frühjahr an das Line-up geht, setzen sie sich an einem der gemeinsamen Abende zusammen und hören alle Künstler*innen durch, die sich an dem offenen Bewerbungsverfahren beteiligt haben. „Wir haben jedes Jahr super viele Bewerbungen und viele tolle Kunstschaffende, die sich bei uns melden. Natürlich schreiben wir auch Leute an. Aber so kommt das dann zustande: Wir schauen gemeinsam, wen wir dabeihaben wollen.“ 

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Viele derjenigen, die nun die letzten vier Jahre immer wieder zum „Familientreffen“ zurückgekommen sind, müssen sich nun ein Jahr länger als gewohnt auf ihre Rückkehr gedulden. Das WeGoApart with ART findet erst im Sommer 2025 wieder statt und mit gewisser Wahrscheinlichkeit dann in einer neuen Location. Johannes-Paul verrät, dass das Team die Pause nutzen möchte, um sich selbst zu strukturieren. „Wir müssen mal genauer darüber nachdenken, was unsere Rolle ist, wie unsere Zukunft aussehen soll, was wir aus uns machen wollen, was aus dem Verein und was aus der ganzen Sache hier. Dafür hatten wir über die Jahre nie so wirklich Zeit.“ Doch auch so steht fest, dass es dem jungen Team zum wiederholten Mal gelungen ist, ihren Besuchenden eine wirklich einzigartige Festivalzeit zu bereiten. Die 19-jährige Festivalbesucherin Sarah aus Dresden resümiert wie folgt: „Es ist nicht: Hier habt ihr Musik und dann geht ihr in eure Zelte und besauft euch. Es geht mehr so um Freundschaft, die dann entsteht. Und um Musik. Das Miteinander hier machts so besonders, klein und entspannt.“ Es liegt Vertrautheit in der Luft. Schlendert mensch auch allein über das Festivalgelände, darf man sich beim WeGoApart with ART wohl und geborgen fühlen. 
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