Während Krisen, Krieg und Katastrophen aktuell Hochkonjunktur haben, bleiben jene Nachrichten auf der Strecke, die ebenfalls Beachtung verdienen.
Während der Beitrag im Tagesspiegel sich eingangs im Wesentlichen auf das popkulturelle Verständnis und im Besonderen auf das musikalische Wirken von Blinken fokussiert, bleibt irgendwie unerwähnt, was es mit der Initiative auf sich hat.
Bereits der erste Satz auf der Webseite zur „Global Music Diplomacy“ indes bemüht sich um Klarheit, „Musik: Sie gibt den demokratischen Idealen eine Stimme, den Mächtigen und den Machtlosen, über Grenzen und Barrieren hinweg und für Generationen von Bürger*innen - aus allen Gesellschaftsschichten - weltweit.“ Die Richtigkeit dieser These dürften Bands wie Pussy Riot oder der belarusischen Tor Band, welche gerade unter anderem wegen Beleidigung des Präsidenten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurde, wahrscheinlich uneingeschränkt zustimmen.
Das mit der Initiative einhergehende Programm verpackt ganz unverkrampft das Leichte mit dem Schweren: Schickt Herbie Hancock auf Tour nach Saudi-Arabien sowie zehn Bands, darunter Birckhead, The Beatbox House und The Invisibles von Oktober bis Juni nächsten Jahres auf Welttournee. Auch begibt sich eine Delegation von vier Hip Hop-Interpreten in die nigerianische Hauptstadt Lagos für einen mehrtägigen Workshop.
Pop, Politik, Agenda
Ferner angesichts der innenpolitischen Situation in den USA auch ein weiteres Argument dafür, die Global Music Diplomacy vielleicht nicht nur auf seine außenpolitische Wirkung zu reduzieren.
Die Kombination von Pop und Politik im Rahmen der Agenda dieser Initiative auf Regierungsebene ist dennoch etwas Besonderes. Außergewöhnlich genug, um hierzu eine Einordnung von politisch Kundigen einzuholen.
Monika Grütters, die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien a. D., befindet, sie halte: "die Idee des US-Außenministers Antony J. Blinken, eine Initiative zur Förderung von Pop-Musik als diplomatisches Instrument für die Friedens- und Demokratieförderung zu etablieren, für gut und zukunftsweisend.“ Seit 2005 gehört Grütters der CDU/CSU Bundestagsfraktion an und ist als langjährige Honorarprofessorin mit Lehrauftrag an der Hochschule für Musik „Hanns-Eisler“ in Berlin sowie an der Freien Universität Berlin sozusagen vom Fach.
"Europa ist in Gänze besser aufgestellt als die USA"
„Man muss erst mal anerkennen, dass die USA mit dem breit aufgestellten Programm und der Schirmherrschaft des Außenministers Antony J. Blinken Musik – und hier mit starkem Fokus auf Popmusik - als relevante Kultur- und Wirtschaftsform wertschätzt“, kommentiert der Abgeordnete Erhard Grundl, Sprecher für Kultur und Medien der Bundestagsfraktion von B90/Grüne das Programm. Dies sei im politischen Umfeld auch in der Kulturpolitik nicht häufig zu beobachten, wo man dann doch eher noch in traditionellen Mustern der Kulturförderung verhaftet bleibt. Möge man meinen.
Grundl ist zudem Mitglied im Auswärtigen Ausschuss sowie dem für Kultur und Medien. „Vergleichen wir die USA und Europa mit seinen Mitgliedsstaaten“, fährt Grundl fort “finden wir auf allen Ebenen eine Fülle an Popförderungen, von Creative Europe und dem Music Moves Europe-Programm auf EU-Ebene bis hin zur Initiative Musik auf Bundesebene mit dem gerade erst frisch ins Leben gerufenen Festivalförderfonds. Nehmen wir dann auch noch die Aktivitäten der Goethe-Institute dazu, die genau das seit Jahren machen, was Blinken nun ankündigt, nämlich Musiker*innen und Bands in andere Länder zum Kulturaustausch reisen lässt, oder auch europaweiter BKM-Stipendienprogramme sowie die Förderungen in anderen europäischen Staaten ist Europa in Gänze besser aufgestellt als die USA.”
Ein Sprecher des Juso-Bundesvorstandes verweist darauf, dass in „Krisenzeiten wie diesen, die weltweit geprägt sind von internationalen Auseinandersetzungen und Konflikten, Diplomatie eine so große Rolle wie schon lange nicht mehr spielt. Ihre Bedeutung liegt häufig auch in der Verhinderung von Konflikten."
Politik mittels Pop? Politik für Pop!
Wenn Musik als politisches Instrument eingesetzt wird, müssen wir immer schauen, welcher Zweck versucht wird, umzusetzen. Genutzt von den falschen politischen Kräften kann eine Verbindung von „Politik mittels Pop“ mehr schaden, als diplomatische Annäherung hervorbringen.
Politik soll Politik machen. Das heißt aus Sicht von Grundl, soll: „kollektiv bindende Entscheidungen treffen. Dabei muss Politik alle im Blick haben. Wenn Politik versteht, dass Popmusik eine gleichwertige Kunst- und Kulturform ist wie bisher geförderte Kulturformen, dann haben wir schon einiges erreicht.“ Geht es nach Grundl, darf Popmusik also politisch sein, muss es aber nicht.
Pop als Zugang
Für den Sprecher der Jusos sollte sich Politik grundsätzlich auch an den Lebenswelten von jungen Menschen orientieren: "Pop-Musik kann dabei ein guter Zugang sein. Dabei ist zu beachten, dass Musik und Kultur auch schon immer politisch gewesen sind – jedoch nicht nur im Guten. Deshalb ist Sensibilität geboten. Zwar ist die Vorstellung verlockend, dass Politik mithilfe von Musik ähnliche Begeisterungsstürme erzeugen könnte wie das neuste Taylor-Swift-Album. Doch sollten wir als politische Akteur*innen uns auch immer kritisch hinterfragen und Begeisterung in erster Linie durch nachhaltige Erfolge im Sinne von Frieden, Verständigung und guter Politik erzielen."
Ungeachtet dieser Bewertung ist anzumerken, dass das Thema „Kultur“ auf der Themenübersicht der Webseite der Jusos gar nicht aufgeführt wird. Das Thema Kultur werde, so der Sprecher der Jugendorganisation der SPD, bei den Jusos vor allem in den hunderten lokalen Juso-Arbeitsgemeinschaften in Stadt und Land bearbeitet – dort, wo junge Menschen tatsächlich Kultur erleben können. Erst unlängst habe der Juso-Bundeskongress einen Beschluss gefasst, „um Kultur in den Kommunen zu stärken. Ein niedrigschwelliger und bezahlbarer Zugang, der Ausbau von Jugendkulturangeboten und eine Stärkung der Kulturszenen in den Kommunen bilden hier besondere Schwerpunkte. Das Ganze findet sich im Musterkommunalprogramm der Jusos wieder, welches als Grundlage für die zahlreichen bevorstehenden Kommunalwahlkämpfe dient.“
In diesem Zusammenhang bleibt abschließend anzumerken, dass es einen Unterschied macht, wenn ein Außenminister oder eine Außenministerin den politischen Mehrwert der Popkultur oder -Musik für demokratische Gesellschaftsformen herausstellt.