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Politischer Reality-Check der „Global Music Diplomacy“

Pop und Politik - Diplomatique Musique


Während Krisen, Krieg und Katastrophen aktuell Hochkonjunktur haben, bleiben jene Nachrichten auf der Strecke, die ebenfalls Beachtung verdienen.

text Manfred Tari
titelfoto Till Petersen
redaktion Isabel Roudsarabi

lesezeit 6 Minuten

Mehr Diplomatie wagen - nein, für den großen medialen Aufschlag hat es leider nicht gereicht, als US-Außenminister Antony Blinken Ende September die Initiative „Global Music Diplomacy“ vorstellte. Immerhin, der Tagesspiegel brachte dazu eine feuilletonistisch-angehauchte Glosse, versehen mit einer geradezu staatsmännischen Frage, wie sie auch Adorno hätte stellen können:

„Kann eine Jamsession den Weltfrieden retten?“

Während der Beitrag im Tagesspiegel sich eingangs im Wesentlichen auf das popkulturelle Verständnis und im Besonderen auf das musikalische Wirken von Blinken fokussiert, bleibt irgendwie unerwähnt, was es mit der Initiative auf sich hat.  

Bereits der erste Satz auf der Webseite zur „Global Music Diplomacy“ indes bemüht sich um Klarheit, „Musik: Sie gibt den demokratischen Idealen eine Stimme, den Mächtigen und den Machtlosen, über Grenzen und Barrieren hinweg und für Generationen von Bürger*innen - aus allen Gesellschaftsschichten - weltweit.“ Die Richtigkeit dieser These dürften Bands wie Pussy Riot oder der belarusischen Tor Band, welche gerade unter anderem wegen Beleidigung des Präsidenten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurde, wahrscheinlich uneingeschränkt zustimmen.

Das mit der Initiative einhergehende Programm verpackt ganz unverkrampft das Leichte mit dem Schweren: Schickt Herbie Hancock auf Tour nach Saudi-Arabien sowie zehn Bands, darunter Birckhead, The Beatbox House und The Invisibles von Oktober bis Juni nächsten Jahres auf Welttournee. Auch begibt sich eine Delegation von vier Hip Hop-Interpreten in die nigerianische Hauptstadt Lagos für einen mehrtägigen Workshop.

Pop, Politik, Agenda

Leider nehmen aber nicht nur Autokraten Popkultur ins Visier. Keine zwei Wochen nach dem Blinken die Mission öffentlich im Weißen Haus vorstellte, verdeutlicht der mörderische Angriff auf das Supernova-Festival in Israel, warum die Wechselwirkung von Pop und westlichen Demokratien auch zum Ziel für Extremisten und Terroristen wird. Und dies leider auch nicht zum ersten Mal, wie die Attentate auf die Konzerte der Band Eagles of Death Metal im Pariser Klub Bataclan (2015) und Ariana Grande in der Manchester Arena im Mai 2017 belegen. 

Das es derzeit um die demokratischen Ideale nicht gut bestellt ist, zeigen die jüngsten Wahlergebnisse in Argentinien oder den Niederlanden sowie zuvor in Italien oder Schweden.

Ferner angesichts der innenpolitischen Situation in den USA auch ein weiteres Argument dafür, die Global Music Diplomacy vielleicht nicht nur auf seine außenpolitische Wirkung zu reduzieren. 

Die Kombination von Pop und Politik im Rahmen der Agenda dieser Initiative auf Regierungsebene ist dennoch etwas Besonderes. Außergewöhnlich genug, um hierzu eine Einordnung von politisch Kundigen einzuholen.

Monika Grütters, die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien a. D., befindet, sie halte: "die Idee des US-Außenministers Antony J. Blinken, eine Initiative zur Förderung von Pop-Musik als diplomatisches Instrument für die Friedens- und Demokratieförderung zu etablieren, für gut und zukunftsweisend.“ Seit 2005 gehört Grütters der CDU/CSU Bundestagsfraktion an und ist als langjährige Honorarprofessorin mit Lehrauftrag an der Hochschule für Musik „Hanns-Eisler“ in Berlin sowie an der Freien Universität Berlin sozusagen vom Fach.    

Musik sei: „eine Sprache, die über Länder- und Kulturgrenzen hinweg verstanden wird. Sie berührt und beflügelt, sie kann Gemeinsames herausstellen und Zugehörigkeitsgefühle stärken."

Bezogen auf musikalische Exportschlager - aus deutscher Sicht denken wir hier beispielsweise an die sogenannte ‚German Music‘, Nena oder Tokio Hotel - kann sie sogar ein Mittel zur Völkerverständigung sein.“ Gerade die Pop-Musik habe durch ihre Eingängigkeit und ihre weltweite Verbreitung über Streaming-Dienste eine besonders große Wirkung auf große Mehrheiten und insbesondere auf junges Publikum.

In ihrer Eigenschaft als Staatsministerin für Kultur und Medien (2013-2021) habe sie: „daher die ‚Initiative Musik‘, eine staatliche Initiative zur Förderung von Pop- und Jazzmusik, sehr unterstützt und werde dem Auswärtigen Amt und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gerne empfehlen, dieses Engagement weiter zu verstärken."

"Europa ist in Gänze besser aufgestellt als die USA"

„Man muss erst mal anerkennen, dass die USA mit dem breit aufgestellten Programm und der Schirmherrschaft des Außenministers Antony J. Blinken Musik – und hier mit starkem Fokus auf Popmusik - als relevante Kultur- und Wirtschaftsform wertschätzt“, kommentiert der Abgeordnete Erhard Grundl, Sprecher für Kultur und Medien der Bundestagsfraktion von B90/Grüne das Programm.  Dies sei im politischen Umfeld auch in der Kulturpolitik nicht häufig zu beobachten, wo man dann doch eher noch in traditionellen Mustern der Kulturförderung verhaftet bleibt. Möge man meinen.

Grundl ist zudem Mitglied im Auswärtigen Ausschuss sowie dem für Kultur und Medien. „Vergleichen wir die USA und Europa mit seinen Mitgliedsstaaten“, fährt Grundl fort “finden wir auf allen Ebenen eine Fülle an Popförderungen, von Creative Europe und dem Music Moves Europe-Programm auf EU-Ebene bis hin zur Initiative Musik auf Bundesebene mit dem gerade erst frisch ins Leben gerufenen Festivalförderfonds. Nehmen wir dann auch noch die Aktivitäten der Goethe-Institute dazu, die genau das seit Jahren machen, was Blinken nun ankündigt, nämlich Musiker*innen und Bands in andere Länder zum Kulturaustausch reisen lässt, oder auch europaweiter BKM-Stipendienprogramme sowie die Förderungen in anderen europäischen Staaten ist Europa in Gänze besser aufgestellt als die USA.” 

Ein Sprecher des Juso-Bundesvorstandes verweist darauf, dass in „Krisenzeiten wie diesen, die weltweit geprägt sind von internationalen Auseinandersetzungen und Konflikten, Diplomatie eine so große Rolle wie schon lange nicht mehr spielt. Ihre Bedeutung liegt häufig auch in der Verhinderung von Konflikten."

"Trifft Musik den richtigen Ton, überwindet sie so manche Sprachbarriere und kann zum effektiven Brückenbauer werden.“

Wenn die “Global Music Diplomacy“ tatsächliche Erfolge in der Verständigung zwischen Nationen und Kulturen verzeichnet, kann das auch für Berlin und Brüssel eine Inspiration sein. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass es tatsächlich um eine Begegnung auf Augenhöhe geht und nicht um ein bloßes Überhöhen der eigenen, zumeist kulturell westlichen Vorstellungen.

Politik mittels Pop? Politik für Pop!

Grundl hingegen räumt ein, er werde misstrauisch, wenn Kunst und Kultur eine Funktion übergestülpt wird. Sicher kann sich Politik wünschen, erklärt Grundl, dass: „Musik zur Verständigung beiträgt, den kulturellen Austausch fördert, Demokratie in die Welt trägt und Frieden sichert. Aber dann wird Musik als Kunstform funktionalisiert, für diplomatische oder wirtschaftliche Zwecke."

"Musik politische Zwecke zuzuschreiben ist legitim, bedarf aber der ständigen Kontrolle.“

Wenn Musik als politisches Instrument eingesetzt wird, müssen wir immer schauen, welcher Zweck versucht wird, umzusetzen. Genutzt von den falschen politischen Kräften kann eine Verbindung von „Politik mittels Pop“ mehr schaden, als diplomatische Annäherung hervorbringen.

Politik soll Politik machen. Das heißt aus Sicht von Grundl, soll: „kollektiv bindende Entscheidungen treffen. Dabei muss Politik alle im Blick haben. Wenn Politik versteht, dass Popmusik eine gleichwertige Kunst- und Kulturform ist wie bisher geförderte Kulturformen, dann haben wir schon einiges erreicht.“ Geht es nach Grundl, darf Popmusik also politisch sein, muss es aber nicht.

Popmusik aber ist stets ein Spiegel für Politik und Gradmesser, für den Zustand einer Gesellschaft. Das kann Politik nutzen.

Und ja, die nicht länger stiefmütterlicher Behandlung von Popmusik als Kulturform dient sicher auch der Abwendung weiterer Politikverdrossenheit in Generationen, die nicht mit Klassik und Oper aufgewachsen sind. Der von der Ampel eingeführte Kulturpass zeige nach Meinung von Grundl, dass 18-Jährige an Büchern, Filmen und Konzerten interessiert sind. Die Kultur- und Kreativwirtschaft also ist ein relevanter Faktor unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Wenn das verstanden wird, dann braucht es kein „Politik mittels Pop“, sondern ein „Politik für Pop“.

Pop als Zugang

Für den Sprecher der Jusos sollte sich Politik grundsätzlich auch an den Lebenswelten von jungen Menschen orientieren: "Pop-Musik kann dabei ein guter Zugang sein. Dabei ist zu beachten, dass Musik und Kultur auch schon immer politisch gewesen sind – jedoch nicht nur im Guten. Deshalb ist Sensibilität geboten. Zwar ist die Vorstellung verlockend, dass Politik mithilfe von Musik ähnliche Begeisterungsstürme erzeugen könnte wie das neuste Taylor-Swift-Album. Doch sollten wir als politische Akteur*innen uns auch immer kritisch hinterfragen und Begeisterung in erster Linie durch nachhaltige Erfolge im Sinne von Frieden, Verständigung und guter Politik erzielen."

Ungeachtet dieser Bewertung ist anzumerken, dass das Thema „Kultur“ auf der Themenübersicht der Webseite der Jusos gar nicht aufgeführt wird. Das Thema Kultur werde, so der Sprecher der Jugendorganisation der SPD, bei den Jusos vor allem in den hunderten lokalen Juso-Arbeitsgemeinschaften in Stadt und Land bearbeitet – dort, wo junge Menschen tatsächlich Kultur erleben können. Erst unlängst habe der Juso-Bundeskongress einen Beschluss gefasst, „um Kultur in den Kommunen zu stärken. Ein niedrigschwelliger und bezahlbarer Zugang, der Ausbau von Jugendkulturangeboten und eine Stärkung der Kulturszenen in den Kommunen bilden hier besondere Schwerpunkte. Das Ganze findet sich im Musterkommunalprogramm der Jusos wieder, welches als Grundlage für die zahlreichen bevorstehenden Kommunalwahlkämpfe dient.“

In diesem Zusammenhang bleibt abschließend anzumerken, dass es einen Unterschied macht, wenn ein Außenminister oder eine Außenministerin den politischen Mehrwert der Popkultur oder -Musik für demokratische Gesellschaftsformen herausstellt.


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Manfred Tari

Manfred Tari schreibt Artikel für Fachzeitschriften wie Musikwoche.de, Vip-News oder IQ-Magazine, moderiert Panels auf einschlägigen Musikkonferenzen, darunter Eurosonic Noorderslag, ILMC (International Live Music Conference) oder der MaMa in Paris. Hauptberuflich in der Musikbranche seit 1987, erst als Booker für den Konzertklub FZW in Dortmund, später von 1989 bis 1998 als Gründungsmitglied der Musikmesse Popkomm. In der Folge darauf verdingte er sich als freier Journalist für Magazine wie Pollstar.com, Musikmarkt.de, Music & Copyright oder dem Intro-Festivalguide. Hinzu kamen Zwischenstationen beim TV-Sender Vivaplus sowie Mitarbeit in der Konferenzredaktion der Popkomm in Berlin. Seit 2009 arbeitet er in gleicher Funktion für die Konferenzredaktion des Reeperbahn Festival, seine Hobbys sind börsennotierte Konzertkonzerne, Pop & Politik, Delinale.de sowie neuerdings das Parliament of Pop und eine Neuauflage der Popkomm...