Wie die Commissioned Works Kreativität freisetzen


Weltpremieren auf dem Pop-Kultur Festival


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Isabel Roudsarabi

Isabel Roudsarabi

Isabel Roudsarabi

6 Minuten

Nirgendwo wird die Diversität unserer Musiklandschaft so sichtbar, wie auf dem Berliner Pop-Kultur Festival. Ob atmosphärische Klänge, musikalische Performances aus der und über die Ukraine oder die Commissioned Works des Festivals - Pop-Kultur bedeutet Repräsentanz.

Direkt am Eingang der Berliner Kulturbrauerei begrüßt einen nach dem Check-in der große und perfekt platzierte Awareness Stand. Hier kann mensch sich informieren, über die Barrierefreiheitsmaßnahmen des Festivals, das Angebot des Awareness Teams - darüber, wo und wie Hilfe geleistet wird, wenn sie benötigt ist.

Allein die Sichtbarkeit des Awareness Konzepts trägt einen großen Teil dazu bei, sich hier wohlzufühlen. Dazu kommt das unglaublich diverse Programm, in dem Künstler*innen aller Genres, Backgrounds, Hautfarben, Größen gezeigt werden. Das Pop-Kultur schafft es wie kaum ein anderes Festival, unsere vielfältige Kulturlandschaft so repräsentativ abzubilden und nicht nur die immergleichen Headliner*innen, sondern einen Mix aus spannenden Newcomer*innen und etablierten Musikgenies auf die Bühne zu stellen.

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Die Comissioned Works & die Kunstfreiheit

Teil des Programms sind seit Beginn des Festivals im Jahr 2017 auch die Commissioned Works. Eine Reihe an Performances, die von den Künstler*innen frei gestaltet und für ihren Auftritt beim Festival neu entwickelt werden können.  Nach einem Bewerbungs- und Auswahlprozess mit den Kurator*innen der Pop-Kultur haben die Artists das Jahr über Zeit, ihre Ideen & Wünsche gemeinsam mit dem Festival umzusetzen. Darum kümmert sich seit 2019 hauptverantwortlich Pamela Schlewinski. Mit ihren Erfahrungen in Theaterproduktionen kann sie die ausgewählten Artists perfekt dabei unterstützen, ihre Performances nicht nur auditiv sondern auch visuell zu einem Erlebnis zu machen.

Mit uns hat Pamela über das Programm, ihre Erfahrungen und Freiheit und Kreativität in der Kunst gesprochen.

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Pamela Schlewinski


Leiterin der Commissioned Works bei Pop-Kultur seit 2019

Hallo Pamela!
Ihr habt 2023 15 Commissioned Works auf dem Festival gehabt, die das Programm aus Talks, Filmen & Musik ergänzten. Wie kann man sich den Auswahlprozess für die Werke vorstellen?


Wir haben innerhalb des Festivals drei Kurator*innen, die verantwortlich für das Programm und auch für die Commissioned Works sind und das untereinander aufteilen. Alle drei haben unterschiedliche Expertisen, was das Programm auch so divers macht. Dadurch entsteht jedes Jahr eine einzigartige Zusammenstellung, die unglaublich abwechslungsreich und kreativ ist.

Nach der initialen Bewerbung gibt es ein erstes Gespräch. Da bin ich auch dabei, aber mit dem Auswahlprozess selber hab ich gar nichts zu tun. Das finde ich auch ganz wichtig, weil ich mich so rein auf die künstlerische Produktionsarbeit fokussieren kann.

Mariana Sadovska/Vesna: Transistor Performance
Kommen die Künstler*innen schon mit konkreten Ideen zu euch oder werden die gemeinsam im Prozess entwickelt?

Ich würde mal behaupten, dass jeder Künstler und jede Künstlerin eine Vision mit sich rumträgt. Die Commissioned Works bieten dann innerhalb des Festivals Musiker*innen einen Raum, ihre Ideen in einem bestimmten Rahmen zu verwirklichen. Und das ist auch, was ich so spannend finde, denn wir greifen nicht in die Ideen ein, sondern wir flankieren sie nur bestmöglich mit unseren Produktionsbedingungen und unterstützen sie mit unseren Erfahrungen. Das heißt, wir gucken uns die Konzepte an, wir schauen, was die grundsätzliche Idee ist und was wir besonders herausarbeiten, was wir visuell unterstützen können. So entsteht dann im nächsten Schritt eine gemeinsame Vorstellung davon, wie es am Ende auf der Bühne aussieht. Aber ich muss ganz klar sagen, das sind immer die Ideen der Künstler*innen, die auch unerschöpflich sind. 
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Jeder bringt etwas mit, eine Vision, die er oder sie immer schon mal verwirklichen wollte.
Wie ist denn euer Gewerk aufgestellt und wie arbeitet ihr dann mit den entstandenen Konzepten?

Das ist wirklich immer unterschiedlich. Fuffifufzich hat dieses Jahr [2023, Anm. d. Red.] zum Beispiel ein komplett eigenes Team und eine eigene Bühnenbildnerin und braucht unsere Unterstützung in anderer Weise, vor allem in der Produktion. Wir gucken immer konzeptuell: Was wollen wir machen, wie passt die Idee in welchen Raum und wie setzen wir es am besten um? Und das ist eigentlich auch das Spannende: Wir lassen uns komplett darauf ein und holen dann gemeinsam das Beste heraus. Das ist Teamarbeit.
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Diese Kreativität spürt man auf jeden Fall! Gerade, weil die Arbeiten & Konzerte auch immer visuell begleitet werden.

Ja, die Commissioned Works sind auch was fürs Auge. Wir arbeiten dabei konzeptueller als ein einfaches Konzert. Die Energie, die sich freisetzt, die spürt man auch, es ist ja so eine Art "Weltpremiere". Das ist ein großes Wort, aber ich mag diesen Begriff dafür nach wie vor. Wir sehen etwas, was es vorher noch nicht gegeben hat, und das hat etwas Besonderes.

Ich glaube, am Ende wollen wir alle in Verbindung gehen. Die Leute, die auf der Bühne stehen, wollen in Verbindung gehen, und die Menschen, die im Publikum sind. Und je mehr Sinne du ansprechen kannst, umso mehr kannst du eine Verbindung herstellen, weil es eine Resonanz mit dir schafft. 

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Ich würde sogar behaupten, dass darin eine gewisse Magie liegt.
Ich hatte auch das Gefühl, dass die Commissioned Works alle sehr persönliche Stücke sind und sehr emotional aufgeladen waren. Ist das für dich dann auch eine Art emotionale Arbeit oder kannst du dich davon gut abgrenzen?

Das ist eine total schöne Frage. Ich kann mich nicht abgrenzen und möchte das auch nicht. Das ist eine klare Entscheidung. Damit meine ich nicht, dass man immer tief in die Emotionalität einsteigt. Aber Musik ist in meinen Augen sowieso etwas, das extrem intim und persönlich sein kann, davor hab ich Respekt: dass jemand so mutig ist, sich so präsentiert und eine Vision transportiert. Es funktioniert ja gar nicht, von einer Vision Abstand oder Distanz zu halten und genau deswegen finde ich das einfach eine total schöne Arbeit. Ich lerne immer dazu und verbinde mich sehr gerne mit den Werken. 
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Ihr habt beschrieben, dass das Projekt "frei von wirtschaftlichen Zwängen" arbeitet. Das finde ich enorm spannend, weil sich die Frage ja immer wieder stellt, wer heute überhaupt noch Kunst machen kann, ohne den Aspekt der Wirtschaftlichkeit immer mitdenken zu müssen.

Natürlich haben wir auch wirtschaftliche Begrenzungen. Aber wir haben immerhin einen Raum, den wir vermitteln dürfen - das ist ein entscheidender Unterschied. Darüber sind wir bei Pop-Kultur superglücklich und natürlich nimmt das in dem Moment Druck raus. Weil dann, wenn du dir weniger Gedanken machen musst und wirklich den Raum hast, eine Idee, die du immer schon mal umsetzen wolltest, zu verwirklichen, empfindest du automatisch weniger Druck. Kreativität wird freigesetzt. Das ist ja so oder so erstrebenswert, besonders in der Kunst; ein super wichtiger Teil, den wir da leisten dürfen.

Die Künstler*innen dürfen ihre Werke danach natürlich auch mitnehmen. Wir haben keinen Anspruch darauf, dass es nirgends anders gezeigt werden darf, im Gegenteil - wir möchten, dass es nach draußen geht, sich möglicherweise weiterentwickelt. Auch das ist ein super wichtiger Aspekt.

Nikita Netrebko & Serhiy Yatsenko: "Kyiv Black Box", Pop-Kultur Festival Berlin 2023
Kannst du dir eine Musikbranche vorstellen, in der wir nicht mehr von Wirtschaftlichkeit abhängig sind und deshalb der allgemeine Druck auch weniger wird - eine Art Utopie? Wie könnte sowas aussehen?

Wenn Geld keine Rolle spielen würde, dann würde das erstmal für mich bedeuten, dass wir es vor allem vielseitiger verteilen. Das heißt, es gäbe dann doch Begrenzungen, zum Beispiel auch bei uns, aber ich glaube, dass das der Kreativität am Ende nicht schadet. Wir setzen ja auch schon jetzt tolle Sachen mit einfachen Mitteln um. Wichtig ist einfach, dass uns eine vielseitige Musiklandschaft bestehen bleibt. Weil wir Kunst brauchen - ich möchte fast sagen - für ein besseres Leben.