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Festivalgutachten von AGF

Nachhaltigkeit ganzheitlich denken


Nachhaltigkeit bekommt auch in der Festivalbranche einen immer höheren Stellenwert. Mittlerweile gibt es einige Initiativen & Organisationen, die das Bewusstsein dafür stärken wollen und Wege aufzeigen, wie auch Großveranstaltungen zu zukunftsweisenden und nachhaltigen Orten werden können. Eine davon ist AGF (früher: A Greener Festival), eine NGO aus Großbritannien, die sich seit 2005 für das Thema einsetzt.

text Isabel Roudsarabi
fotos Till Bärwaldt, Jonas Rogge, Dominik Wagner, Till Petersen

lesezeit 6 Minuten

Von London aus bietet AGF Untersuchungen, Studien, Umwelt-Zertifikate, Training und Expertise in Sachen Nachhaltigkeit für Events auf der ganzen Welt. Außerdem vergibt die Organisation jedes Jahr Awards an die Festivals, die in der vorangegangenen Saison besonders umweltfreundlich aufgestellt waren. Seit 13 Jahren findet auch die von AGF präsentierte Green Events & Innovations Conference statt, die die Branche mit Politiker:innen und Regierungen sowie Nachhaltigkeitsexpert:innen zusammenbringt und über die Zukunft einer nachhaltigen Veranstaltungsindustrie sprechen lässt. Dieses Jahr gibt es sogar zwei Ausgaben, eine digitale im vergangen März und eine weitere, die im September stattfinden wird. "Wir versuchen immer, bei allen Themen dort sehr ins Detail zu gehen und zum Beispiel über Biodiversität und Transportmöglichkeiten, Innovationen und so weiter zu sprechen", berichtet Claire O'Neill, Mitgründerin und Direktorin der Organisation. 

Nachhaltigkeit, ganzheitlich

Nicht nur Festivals gehören inzwischen zum Portfolio der Organisation AGF, sondern auch andere Arten von Großveranstaltungen: Sportevents und Messen zum Beispiel. Einen großen Teil ihrer Arbeit nimmt dabei das Assessment, also die Bewertung dieser Veranstaltungen hinsichtlich unterschiedlichster Faktoren der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit, ein. Seit 2007 hat die NGO so mit hunderten Veranstalter:innen auf allen Kontinenten zusammengearbeitet. 

2016 hat AGF dann damit angefangen, auch außerhalb ihrer eigenen Reihen Gutachter:innen auszubilden. Claire erzählt: “Die Idee war, dass, wenn sich eine Veranstaltung für den Prozess bewirbt, wir auch jemanden haben, der recht nah an der Location wohnt und in unserem Namen die Bewertung vornehmen kann.” Für das Training bewerben könne sich eigentlich jede:r. Manchmal seien es Organisator:innen, die etwas für ihr eigenes Festival lernen wollen, häufig Umweltwissenschaftler:innen, die sich mehr mit der Eventindustrie auseinandersetzen wollen. In der zweiwöchigen Schulung lernen die Auszubildenden Informationen über die zehn Bereiche, über die auch später in dem Bewertungsprozess der Veranstaltungen geurteilt wird: Einfluss auf das lokale Ökosystem, die lokale Gemeinschaft, globale Auswirkungen, Energie, Beschaffung/Ressourcen, Müll und Recycling, Wasserverbrauch, rechtliche Rahmenbedingungen und Management Systeme, Nachhaltigkeitskommunikation und nicht zuletzt eine ausführliche CO2-Analyse. Außerdem wird sich Barrierefreiheit und Gleichberechtigung angeschaut. Da gäbe es, sagt Claire, aber andere Organisationen, die das noch deutlich detaillierter täten. AGF bezieht aber bei Bedarf auch deren Bewertungen von Events mit in ihre ein. 


Der Weg zum Assessor

Bis man für AGF Veranstaltungen begutachten kann, ist es ein langer Weg. Dem initialen Training, das dreimal im Jahr angeboten wird, folgend, können diejenigen, die am Ende selbst Events bewerten wollen, ehrenamtlich bei einem oder einer bereits erfahrenen Gutachter:in mitlaufen. "Nicht nur muss du Expertise in all diesen zehn Bereichen der Nachhaltigkeit mitbringen, die an sich schon sehr umfangreich sind, sondern auch die Fähigkeit haben, mit sehr vielen Akteur:innen gleichzeitig zu kommunizieren. Außerdem sollte man eine Liebe für Tabellen mitbringen", gibt Claire zu verstehen. Aktuell sind es etwa 20 sogenannte Senior Assessors, also diejenigen, die selbst ausbilden können und mit ihrer Arbeit auch Geld verdienen, und um die 200, die sich noch in der Ausbildungsphase befinden. Einer von ihnen ist Thomas Winter. Der Wahl-Rostocker hat Nachhaltigkeitsmanagement studiert und wollte mit einer Firma für Hanftextilien seinen Teil zu einer nachhaltigeren Merchandise-Industrie beitragen. Nach dem Scheitern seiner Unternehmung, ist er 2019 auf AGF gestoßen und hat mit dem Training begonnen. Kurz darauf schon hat er zusammen mit zwei anderen Gutachterinnen hinter die Kulissen der Hamburger Metal Days schauen können.

"Also das Spreadsheet geht schon ungefähr von hier bis nach Berlin. Das ist wirklich alles extrem umfangreich."

Thomas erzählt außerdem, dass der Prozess zunächst mit einer Selbst-Bewertung des Festivals beginnt. Die Veranstaltenden stellen damit Daten, zum Beispiel zu behördlichen Regelungen, dem Wasser- oder Energieverbrauch, bereit. Dazu gehört auch, jeweils die entsprechenden Nachweise mitzuliefern. Die Gutachter:innen bekommen diese Ergebnisse dann noch vor dem eigentlichen Festival und markieren Stellen, die unklar oder nicht deutlich belegt sind, aber auch Themen, die vielleicht besonders innovativ und neugedacht sind.

Auf der Veranstaltung angekommen findet zunächst einmal eine ausführliche Geländebegehung statt: "Man schaut einfach, ob die Darstellung im Selbstbericht den Tatsachen vor Ort entspricht, dokumentiert das mit Fotos, macht sich Notizen", so Thomas. Später folgen Gespräche mit den entsprechenden Ansprechpartner:innen: "Im Ideallfall gibt es einen Nachhaltigkeitsmanager oder zumindest eine Person, die diesen Hut aufhat." Policy sei zwar das eine, erzählt er, was dann aber von den guten Ideen auch umgesetzt wird, das andere. "Wenn die Maßnahmen klar formuliert sind, ist das schonmal echt gut, ein Schritt in die richtige Richtung, aber wenn sie dann nicht umgesetzt werden, dann hat man am Ende auch nichts davon." Thomas berichtet zum Beispiel von einem Festival, dass in ihrem eigenen Bericht schrieb, keine Plastikstrohhalme zu verwenden. Vor Ort gabs dann einen Cocktail mit - na klar - Plastikhalm. Es könne aber durchaus vorkommen, dass ein Festival seine Pläne auch einhalten wollte, diese aber aus verschiedenen Gründen durchkreuzt wurden. Dann sei das Verständnis auch gegeben, wenn es eben mal nicht so klappt, wie man sich das vorgestellt hat.

Ob zwischen Terminen und Geländecheck vor Ort noch Platz für ein bisschen Festival-Genuss ist? Das hängt von der Größe, Länge und Komplexität des Festivals ab. "Aber ich denke, damit, dass man immer ein paar Konzert und oder DJs mitnehmen kann, kalkuliert jeder."

Und danach?

Für die abschließende Bewertung gibt es ein Punktesystem, je nachdem, welche Maßnahmen das Event in welchen Bereichen umgesetzt und kommuniziert hat. Meistens ist etwa zwei Monate nach der Veranstaltung der Bericht fertig, manchmal tauchen aber auch nach dem Festival zusätzliche Fragen auf, die im Anschluss noch geklärt werden müssen. Die Organisator:innen erhalten dann eine Zusammenfassung ihres Gutachtens und eine Information dazu, ob sie sich für einen AGF Award qualifiziert haben. Wenn sich daraus Bedarf für eine weitere Konsultation ergibt, kann aus der Zusammenarbeit auch ein längerfristiges Beratungsprojekt werden.

Bis Gutachter:innen in Ausbildung auch allein diesen Prozess durchführen dürfen, müssen sie zwei bis fünf Festivals mit anderen zusammen bewertet haben. Das hängt immer von den Vorerfahrungen und Kenntnissen der jeweiligen Person ab. Alle drei Jahre gibt es dann ein neues Training, denn die Faktoren und Umstände ändern sich schnell.

Für eine nachhaltigere Festivalzukunft

In einem normalen Sommer, hätte AGF etwa 50 bis 60 Festivals in der nördlichen Hemisphäre begutachtet. Seit Beginn der Pandemie ist das aber natürlich nicht mehr möglich. Stattdessen "haben wir die Chance bekommen, mal einen Schritt zurück zugehen und uns anzuschauen, wo die Reise eigentlich hingeht", schwärmt Claire O'Neill: "Es hat uns die Möglichkeit gegeben, nicht wieder im Alltäglichen festzustecken, nicht mehr nur den immer gleichen Mustern zu folgen." Zum Beispiel haben sie digitale Meet-Ups für ihre Gutachter:innen organisiert, damit die sich untereinander austauschen und vernetzen können. Außerdem hat AGF damit Begonnen, auch virtuellen Events ihren Service anzubieten. Da gibt es dann nochmal ganz andere Dinge zu beachten, wie die elektronischen Geräte, mit denen man darauf zugreift, oder die Serverstrukturen. Die Organisation entwickelt sich also immer weiter und sucht Wege, sich der immer in Bewegung bleibenden Veranstaltungsbranche anzupassen.

Und auch wenn die Unterstützung von AGF für Festivals nicht besonders günstig ist, sie ist ein unglaublich großer Schritt in eine nachhaltigere Festivalzukunft. Denn viele haben nicht einmal das Bewusstsein für ihre Umweltsünden. Thomas Winter findet dafür klare Worte: "Ich persönlich finde es einfach unfassbar, wie wir diesen Planeten zumüllen und die Kurzsichtigkeit und die Rücksichtslosigkeit die aus unserem Verhalten spricht."