10. Jubiläum. Nach einem Jahr Pause reitet Timo Kumpf im Video zur Aufgalopp Crowdfunding Kampagne über südhessische Felder. Angriff nach vorne und gleichzeitig der Blick zurück: Dankbarkeit wird durch einen „flapsigen Facebookpost“ zum Motto des Jubiläums. Ich habe mit Timo, dem Veranstalter des Maifeld Derby und Achim, Teil der Geländeproduktion beim Festival, übers Weitermachen nach der Pause, Zukunftsaussichten und natürlich auch über Corona gesprochen.
text Henrike Schröder
redaktion Isabel Roudsarabi
fotos Till Petersen
lesezeit 6 Minuten
Wie fühlt sich eigentlich ein Jubiläum an? Sollte es ein Feuerwerk beinhalten, einen weiteren Tag, ein extra besonderes Line-up, spezielles Merch, zumindest eine Jubiläumstasse? Beim Maifeld Derby sieht das etwas anders aus: „Puh… also… ne. Das Jubiläum steht dieses Jahr echt nicht im Fokus“, meint Timo Kumpf, während er scheinbar gleichzeitig drüber nachdenkt, ob diese Ausgabe überhaupt Aspekte eines Jubiläums enthält. „Bei mir haben sich in den letzten Tagen etwa 500 Leute bedankt, was eigentlich nur an einem flapsigen Facebook Post lag, in dem ich ‘Dankbarkeit’ zum Motto des Maifeld Derby gemacht habe“, erklärt er schmunzelnd. Dankbarkeit vor allem dafür, dass sie es bis hier hin geschafft haben und das Festival dieses Jahr überhaupt stattfindet.
„Zum Geburtstag lade ich ja auch keine Fremden ein.“
Wann genau die Entscheidung fiel, 2021 ein Maifeld Derby zu veranstalten, weiß er zwar nicht mehr, aber den Plan, nach der einjährigen Pause weiterzumachen, hatte er immer im Hinterkopf. „Dieses Jahr haben wir eine Förderung bekommen, um weiter am Maifeld Derby zu arbeiten und auch wenn das jetzt unromantisch klingt, aber ohne hätte ich den Versuch nie gewagt“, erzählt Timo. Anschließend lief die Organisation so nebenher. Konzepte wurden aufgestellt und immer wieder angepasst, je nach aktueller Corona-Lage.
„Ich habe mich quergestellt, mich ganz tief reinzustürzen und mich mit Details zu beschäftigen, um dann im Endeffekt vielleicht enttäuscht zu werden weil die Inzidenz zu hoch ist.“
So erklärt er seine Ambivalenz zwischen der Leidenschaft mit der er das Maifeld Derby veranstaltet und dem sicherlich gesunden Pragmatismus, der ihm nicht zuletzt seine Pause bescherte.
Auch im Line-up hat Timo viele Slots lange offen gelassen, um auch spät noch reagieren zu können und etwa die zweite Bühne zu einer Stehbühne zu machen. „Aber generell stand das Booking dieses Jahr nicht so sehr im Fokus“, erklärt er. „Gerade spielt zum Beispiel The Wolf auf nem Co-Headline-Slot. Die würden sonst mittags um 13:00 Uhr auf einer kleineren Bühne spielen.“ Untypisch ist auch, dass das Line-up sehr viele Wiederholungen aus den letzten Jahren enthält. „Da spielt das Jubiläum schon mit rein“, merkt er an. "Denn zum Geburtstag lade ich ja auch keine Fremden ein.“ Mit Dagobert etwa, war er bereits auf Tour. Nach acht Jahren spielt der auch auf der großen Bühne.
Als Dagobert am Sonntagnachmittag auf der Palastbühne steht, ist es so heiß, dass ihm das Haargel mit dem Schweiß zusammen das Gesicht herunter läuft. „Es wäre besser, ich hätte die Frisur von Vin Diesel“, stellt er nüchtern fest und fährt sich immer wieder mit beiden Händen so dramatisch durch die Haare, wie einst Falco. Das Publikum ist, wie das ganze Wochenende hindurch, aufgeteilt: die einen stehend, teilweise tanzend vor den vorne aufgestellten Klappstühlen und der Rest hinten im Schatten auf der Tribüne. Die nötigen Abstände werden dabei fast immer eingehalten. Nur vor dem Auftritt von Drangsal geht Timo sicherheitshalber selber nochmal auf die Bühne, um daran zu erinnern: „Wenn der vordere Bereich voll ist, dann ist er eben voll!“ Keine Diskussion. Und so bildet sich zwar eine kleine Traube direkt vor der Bühne. Die meisten bleiben jedoch verteilt auf dem Gelände und freuen sich darüber, wenigstens ausreichend Platz zum Tanzen zu haben.
Das Maifeld Derby ist keine Fake-Realität
„Es hat eine Weile gedauert, bis ich eine Idee davon hatte, wie das Maifeld Derby sinnvoll stattfinden kann. Die wurde jedoch umso klarer, als für mich feststand, dass es kein normales Festival wird, sondern eins mit Einschränkungen“, erläutert Timo die ersten Überlegungen zur Corona-Strategie. „Es war nie eine Option mittels PCR-Tests eine Fake-Realität zu erschaffen. Ich wollte immer, dass das Festival mit Abständen und Maske stattfindet – auch wenn es mir jetzt nach drei Tagen wahnsinnig auf die Nerven geht die Maske zu tragen. Aber das ist die Realität gerade.“ Denn gerade die Maske sei ein Symbol unserer Zeit, erklärt er weiter. „Und mir geht es darum, das auch anzuerkennen. Ich persönlich glaube nicht, dass es wirklich notwendig ist, draußen eine Maske zu tragen, aber es ist trotzdem wichtig, denn das ist einfach die Zeit gerade.“ Und irgendwie hat man sich mittlerweile ja auch daran gewöhnt, führt Achim, einer der Produktioner des Festivals, weiter aus: „Ich glaube die Masken sind nicht das Problem. Sie wurden einfach aus dem Alltag mit hier rein genommen.
"Wenn man so will, ist das Ungewöhnliche eher das Maifeld Derby und nicht die Maske.“
Das scheinen auch die Künstler*innen so zu sehen. Sophie Hunger bedankt sich bei allen, die Tickets gekauft haben, ohne zu wissen, ob das Festival überhaupt stattfindet und bei den Veranstalter*innen, „denn es ist wichtig, dass manche weiter marschieren.“ Schmyt ist sichtlich erleichtert nach dem Picknick Konzert einen Tag zuvor nun wieder ein stehendes, tanzendes Publikum vorzufinden. Und Oehl freut sich darüber, dass so viele Kinder da sind. „Wir müssen unseren Nichten, Neffen, Töchtern und Söhnen einen Zugang zu Kultur ermöglichen und die Liebe zur Musik weitergeben, schließlich hat Musik immer auch was mit Hoffnung zu tun“, erklären sie, bevor sie ihren Song „Keramik“ anstimmen.
„Danke für den Rider, aber nein!“
Und wie geht es weiter? „Ich betrachte mich weniger denn je als Dienstleister – weder Künstlern, noch Besuchern gegenüber“, erklärt Timo. Es klingt nach einer Einsicht, die ihm über das Jahr Pause kam. Er wirkt bestimmt, aber gleichzeitig auch so, als müsste er sich diese Erkenntnis selber immer wieder vor Augen führen, wie ein Mantra. „Ich erwarte, dass jeder auch die andere Seite sieht“, erzählt er weiter. „Deswegen versuche ich Bands sehr gut zu bezahlen. Denn ich weiß, dass viele gerade im Hungertuch nagen und es für sie super wichtig ist mal wieder auf einer Bühne zu stehen. Trotzdem kann ich nicht von Null auf Hundert gehen und musste vielen Bands sagen: ‚Danke für den Rider, aber nein. Die Kühlschränke stehen offen, ihr könnt saufen und fressen so viel ihr wollt. Mehr nicht.’ Denn die Förderungen sind nicht dazu da den Standard von irgendwelchen Bands zu halten."
"Wir müssen gerade alle Kompromisse eingehen.“
Nicht nur die einjährige Pause, deren Gründe in der Dokumentation „Von Ponys und Dollars – ein Dokumentarfilm über die Selbstausbeutung in der Festivalszene“ thematisiert werden, sondern auch Corona hat einiges verändert. „Ich bin noch nicht wieder so on fire wie früher“, räumt er ein. „Aber das will ich auch nicht. Trotzdem merke ich: Das ist mein Ding, das macht Bock und das ist dann auch der Lohn. Und der ist es wert das weiterhin zu tun.“ Aber eben anders. Nicht mehr selbstausbeuterisch. Nicht im ständigen Galopp, sondern organisiert als gemeinnützige GmbH, ohne Gewinnerzielungsabsicht. Aber trotzdem mit dem, was das Maifeld Derby ausmacht: musikalische Experimente, ein kuratiertes Line-up, dass sich nicht nach Algorithmen und Charts richtet und sich erst Recht nicht als Dienstleistung versteht. Schließlich ist Kunst keine Dienstleistung. Und mit einem Team, das alles dafür tut, dass das Maifeld Derby erhalten bleibt. Denn das Booking ist eh immer geil, stellt Achim ganz selbstverständlich am Ende unseres Interviews fest. „Und was den Rest angeht, bin ich ein riesiger Fan davon, das Gute beizubehalten und immer ein bisschen an den Schrauben zu drehen, anstatt jedes mal alles umzukrempeln. Aber am Ende entscheidet Timo. Wenn der mir sagt, bau 24 Scheißhäuser auf, dann baue ich 24 Scheißhäuser auf.“