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Inklusion auf Musikfestivals:

Zurück zu den Wurzeln im Interview


 
 

text Johannes Jacobi
redaktion Tina Huynh-Le
fotos Sascha Krautz

Inklusionslotsen und Inklusionscamp, mit dem Rollstuhl auf die Tanzfläche mitten im Wald und ein Festivalgelände auch für Menschen mit Sehschwäche. Das Team vom Zurück zu den Wurzeln Festival macht sich Gedanken, setzt sich ein und setzt um. So weit, wie es die finanziellen Mittel erlauben und vielleicht noch viel weiter. Das liegt in den Händen der Community. In unseren Händen. Mehr dazu erzählt uns Dragan von der Wurzelcrew.

 

Inklusion wird auf Festivals leider nur schleppend langsam ein größeres Thema. Ihr geht seit eurem Festival 2017 einen offensiveren Weg. Wie kam es dazu, wann kam euch die Idee?
Wir sind ja 2011/12 mit „illegalen“ Open Airs in Berlin gestartet. Bei einem dieser Open Airs hatten wir dann einen Rollifahrer bei und haben uns erstmal Gedanken gemacht, wie er den Weg bewältigt hat. Unsere Open Airs fanden damals in alten Industriegebieten, Fabrikruinen oder auch mitten im Wald statt. Der entscheidende Denkanstoß kam aber beim Wurzelfestival 2016, wo wir die Frage nach behindertengerechten Toiletten & Duschen verneinen mussten. Wir hatten bei diesem doch recht chaotischen Improvisationsfestival wirklich nicht daran gedacht. Einige erinnern sich sicher noch daran, dass wir 4 Wochen vor Festivalstart ein neues Gelände finden und umziehen mussten.

Wie lief es 2017? Was hattet ihr anfangs geplant, was davon konnte wirklich umgesetzt werden?
2017 sind wir voller Elan in das für uns neue Wasser Inklusion gesprungen. Wir wollten ganz viele Ideen umsetzen, sind aber recht schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden. Wir wollten eigentlich unser Festivalgelände auch für Menschen mit einer Sehschwäche kompatibel machen, aber das konnten wir finanziell nicht mehr stemmen. Was wir geschafft haben und worauf wir auch ziemlich stolz sind, wir konnten das Gelände umbauen und für Rollstuhlfahrer kompatibel machen. Unser Schwerpunkt lag hier darauf, dass der Rollifahrer wirklich so gut wie überall hin kann. Also auch mitten auf die Tanzfläche. Da sich 3 unserer Floors mitten im Wald befinden, war das eine echte Herausforderung, denn nachhaltig und umweltschonend sollte es ja auch sein. Die nächste ziemlich coole Aktion, die wirklich gut angenommen wurde, war unser Inklusionscamp. Hier stellten wir Zelte, Feldbetten und eine eigene Küche für die Gäste mit Beeinträchtigungen zur Verfügung. Wir haben 2017 auch erstmalig mit Inklusionslotsen gearbeitet. Das waren Freiwillige, die unsere Wurzelkinder mit Beeinträchtigungen begleitet haben und ihnen bei Bedarf Hilfestellung leisten konnten.

Wie wurde eure Arbeit angenommen?
Wie unsere Arbeit angenommen wurde, kann man nur mit dem Wort „normal“ beschreiben. Es war für alle Gäste völlig normal, dass wir barrierefrei sind und Menschen mit Beeinträchtigungen in den Kreis der Wurzelkinder aufgenommen wurden. Das hat allen wirklich gut getan und so manch einer hat Berührungsängste abgebaut. Die Resonanz auf unser Angebot war schon super und wir konnten 300 Gäste mit Beeinträchtigungen begrüßen.



So haben wir z.B. festgestellt, dass unsere Bartresen nicht auf Rollstuhlhöhe waren.

Was waren für euch die größten Baustellen und Probleme?
Das erste Problem stellt sich einfach beim Fachwissen dar. Wenn so typische Wurzelveranstalter wie wir, die sehr gern spontan handeln und viel improvisieren, sich auf so ein schwieriges Feld wagen. Das geht nicht ohne Partner und die haben wir glücklicherweise gefunden. Das nächste Problem stellt die Finanzierung dar. Man denkt am Anfang so: „Ja, da machen wir ein paar Rollstuhlwege und fertig“. Irgendwann merkt man aber, dass es damit nicht getan ist und dass die Kosten schnell in den 6-stelligen Bereich gehen. Dass diese Summe nicht von einem kleinen Festival wie unserem zu stemmen ist, ist völlig klar. Wir hatten echt Glück, dass uns die Aktion Mensch ca. 50% der Kosten erstattet hat. Während des Festivals entdeckt man natürlich auch Schwachpunkte, an die man vorher nicht gedacht hat. So haben wir z.B. festgestellt, dass unsere Bartresen nicht auf Rollstuhlhöhe waren. Aber für uns ist es ein Lernprozess und wir nehmen solche Dinge mit ins nächste Festival und verändern sie dann.

Es ist eine Sache, ein Festivalgelände inklusiver zu gestalten, die andere ist es, potenzielle Gäste davon in Kenntnis zu setzen. Viele Menschen haben Festivals schon als Orte mit vielen Barrieren abgeschrieben – bei euch geht es also sicher auch darum, im Vorab zu zeigen, dass ihr das anders handhabt und eben auch wirklich Raum für alle BesucherInnen schafft. Arbeitet ihr da mit bestimmten PartnerInnen zusammen – stoßt ihr da auch auf Skepsis?
Naja, es ist wirklich Neuland, in das wir uns da begeben haben und Inklusion ist nicht wirklich üblich in der deutschen Festivallandschaft. Natürlich gibt es bei einigen Festivals behindertengerechte Sanitäreinrichtungen, aber solche Dinge wie ein Betreuungscamp oder auch Rollstuhlwege bis zur Tanzfläche sind nicht üblich. Unsere Wurzelkinder sind nicht skeptisch, wie oben schon gesagt, sie empfinden es als normal, dass niemand ausgegrenzt wird und wir alle gemeinsam Zeit verbringen. In den Medien ist das Thema Inklusion und Festival nicht wirklich präsent und es ist schwer, da Beiträge zu lancieren. Bei der Politik in Berlin haben wir den Bedarf plakativ aufgezeigt, indem wir einfach ein „inklusives“ Wurzelopenair mit über 3.000 Teilnehmern in Berlin gestartet haben. Da war dann auch der Kultursenator von Berlin zu Gast und konnte sich von dem Bedarf an inklusiven Festen und Spielstätten überzeugen. Als Partner haben wir mit dem Lebenshilfe e.V. einen großen Partner aus dem Bereich gefunden, der uns mit Rat & Tat zur Seite steht. Ohne diese Unterstützung wäre das Projekt inklusives Wurzelfestival nicht zu realisieren.


Machen wir Kultur oder sind wir sozialpolitisch oder machen wir Freizeitgestaltung für Menschen mit Beeinträchtigungen?

Für das Festival 2018 gibt es jetzt eine Crowdfunding Aktion, weil die Förderungen vom letzten Jahr einmalig waren, ist das richtig?
Wie schon erwähnt, bewegen wir uns mit der Inklusion im 6-stelligen Kostenbereich. Für 2017 hatten wir eine ca. 50% Förderung von der Aktion Mensch, die aber erstmal nur einmalig war. Natürlich kann man auch öffentliche Anträge stellen, aber das gestaltet sich echt schwierig. Unsere öffentlich –rechtlichen Geldverwalter sind sich nicht wirklich einig darüber, was wir machen und wie wir gefördert werden sollten. Es ist ja auch nicht so einfach, denn machen wir Kultur oder sind wir sozialpolitisch oder machen wir Freizeitgestaltung für Menschen mit Beeinträchtigungen?

Wie viel Geld benötigt ihr mindestens und was kann damit getan werden?
Für 2018 brauchen wie mindestens 11.000 Euro über unsere Crowdfundingkampagne. Damit könnten wir die Wegeplatten für die Rollstuhlwege wieder anmieten. Das ist natürlich unwirtschaftlich und besser wäre der Kauf dieser Platten. Dazu müssten aber 35.000 Euro Spendensumme zusammenkommen. Daran glauben wir nicht, weil unsere Wurzelkinder nicht wirklich die Urenkel von Rockefeller sind. Aber mal ganz ehrlich so unter uns, wir sind mega begeistert von der Unterstützung, die wir erfahren. Wir liegen jetzt schon bei über 7.000 Euro Spendensumme und das ist wirklich großartig.

Was für Möglichkeiten eröffnen sich, sollte das zweite Fundingziel erreicht werden?
Sollte sich nun wirklich der ein oder andere Großspender für unser Projekt erwärmen und wir das 2. Ziel erreichen, dann kaufen wir die Wegeplatten. Das ist wirtschaftlicher als sie jedes Jahr aufs neue zu mieten.

Angenommen, ihr schießt weit über das Ziel hinaus: Was sind eure Anliegen für die Zukunft und was würdet ihr mit weiterem Geld umsetzen?
Wir haben noch so einige Baustellen, die wir leider noch nicht umsetzen können. Dazu zählt z.B. die Umrüstung des Festivalgeländes, um Menschen mit einer Sehschwäche den Zugang auch ohne Begleitung zu ermöglichen. Übrigens fängt bei diesen Menschen die erste Hürde schon bei der Webseite an.


Hier ist die Politik gefragt. Es ist unschön, dass Menschen ausgegrenzt werden, weil die finanziellen Hürden zu hoch sind.

Gibt es im Festival- oder Veranstaltungsbereich Vorbilder für euch? Veranstaltungen, die schon viel richtig machen und mit denen ihr euch austauschen könnt?
Wir haben ausführlich nach rechts und links geschaut, weil wir ja dachten, dass gerade die großen und finanzstarken Festivals Vorreiter in diesen Bereich sein müssten. Leider haben wir nicht wirklich Festivals im elektronischen Musikbereich gefunden, von denen wir Erfahrungen übernehmen können. Das kann man aber auch nachvollziehen, denn wenn bei einem kleinen Festival der Umbau schon eine Riesensumme verschlingt, was kostet es dann bei einem Großevent? Wir sehen uns auch ein wenig als Vorreiter und hoffen, dass vielleicht das ein oder andere Festival nachzieht.

Wie dürfen sich Gäste, die noch nie bei euch waren, euer Festival vorstellen? Wie viele Menschen und Bühnen habt ihr, was für MusikerInnen aus welchen Genres werden geladen und was macht euch aus?
Was macht uns aus? Das ist eine gute Frage… An erster Stelle vielleicht, dass wir ein Mitmachfestival sind. Unsere Gäste können sich aktiv in der Planung & Gestaltung des Festivals einbringen. Das ist super, denn dadurch fließen immer neue Ideen in das Festival ein und es entwickelt sich und verändert sich ständig. Für 2018 wollen wir die Teilnehmerzahl wieder auf ca. 3.000-3.500 begrenzen. Das ist die richtige Größe, um die familiäre Atmosphäre zu bewahren. Durch das unglaublich große Festivalgelände (220.000 qm) hat auch jeder seinen persönlichen Freiraum zur Entfaltung. Wir haben 7 Floors von Psytrance über Techno & Techhouse bis hin zu Dark & Forest und Chill & Ambient. Besonders hervorheben möchten wir unsere Waldphilharmonie. Das ist eine Kulturbühne, auf der ein Kontrastprogramm zu den übrigen Musikrichtungen läuft. Hier gibt es verschiedene Bands und Liedermacher und es geht so in Richtung Wohnzimmerkonzert. Wichtig wäre auch, dass wir das übliche Namedropping und Headlinergedöns nicht mitmachen. Bei uns spielen Musikanten, die ihr Handwerk verstehen und ihre Liebe zur Musik zum Ausdruck bringen. Das ist völlig unabhängig von „Rang & Namen“.

Vielen Dank für deine Zeit. Möchtest du noch etwas loswerden?
Ja, ich möchte mich an dieser Stelle nochmal für die unglaubliche Unterstützung und für den Zusammenhalt bei all unseren Wurzelkindern bedanken. Wenn ich sehe, was so im Laufe der Zeit enstanden ist, vom ersten Wurzelopenair mit 30 Gästen bis jetzt hin zum Festival, ist das schon mega. Zum Thema Inklusion, hier ist die Politik gefragt. Es ist unschön, dass Menschen ausgegrenzt werden, weil die finanziellen Hürden zu hoch sind. Das betrifft ja jetzt nicht nur unbedingt die Kultur, sondern eigentlich alle Bereiche des Lebens. Wir werden auf jeden Fall auch weiterhin ordentlich Lärm machen und hoffen, dass sich etwas ändert und die öffentlich-rechtlichen Geldverwalter ein Herz für die Inklusion entdecken.