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„Ich würde mir wünschen, dass man in der Festivalbranche gewagter wird”

Antirassismus auf die Agenda setzen


„Veränderung bedeutet, man muss Extra-Arbeit machen. Extra-Schritte gehen. Veränderung kommt nicht dadurch, immer das Gleiche, das Bequeme und Angenehme zu machen, sondern man muss sich Mühe geben.” - Pamela Owusu-Brenyah

text Olivia Busse
redaktion Sandra Bilson, Isabel Roudsarabi
(Symbol)fotos AfroxPop, Christoph Mangler, Camille Blake, Käthe deKoe, Mudjacka Bilili, Antemilio, Lucas Hauser

lesezeit 15 Minuten

Mit einem Rückblick auf den vergangenen Festivalsommer könnte man meinen, Geschlechtergerechtigkeit sei nun auch bei den Majors angekommen - zumindest als Thema, für das sie vermehrt in der Kritik standen. So betrug der Frauenanteil der insgesamt auftretenden Künstler*innen beim Rock am Ring 2022 gerade mal 5,58 Prozent. Die Zahlen erschrecken, doch sind sie Ausgangspunkt dafür, dass über Sexismus im Festivalkosmos überhaupt gesprochen wird. Ökologische Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit gehören ebenfalls zu den Bereichen, die nun langsam beginnen bei Festivals auf der Agenda zu stehen. Was aber ist mit den Themen Rassismus und Antirassismus?

Falana, Pop-Kultur 2022

Während im Vereinigten Königreich das Unternehmen Back Lives in Music” mit einer Studie Zahlen liefert, welche die Situation Schwarzer Musiker*innen in der dortigen Musikbranche beschreiben, ist Vergleichbares in Bezug auf die deutsche Festivalbranche schwer zu finden.

Warum und welche Zahlen es bräuchte, was für Vorteile eine diversere Festivalbranche mit sich bringt und wie wir diese erreichen, darüber haben wir mit Festivalveranstalterin und Pop-Kultur Kuratorin Pamela Owusu-Brenyah gesprochen.

Pamela beim AFRO x POP Festival in Köln



African Food Festival, Köln

Hallo Pamela! Vielen Dank, dass du dich dazu bereit erklärt hast, heute mit uns über so ein komplexes Thema wie Rassismus zu sprechen. Was für Missstände beobachtest Du aktuell in der Festivalbranche im Zusammenhang mit Rassismus?
Pamela Owusu-Brenyah: Vorweg: lch spreche als Festivalbesucherin, als jemand, der selbst Festivals veranstaltet hat und als Schwarze Frau, die bei einem Festival arbeitet. Dadurch, dass ich im Musikbereich tätig bin, beziehe ich mich mit meinen Äußerungen größtenteils auf diesen Bereich. Für alle Szenen und Kunstbereiche kann ich nicht sprechen, ähnliche Bestände oder auch Missstände vermute ich jedoch auch in verwandten Veranstaltungsbereichen. 

African Food Festival, Hamburg

Es gibt vier zentrale Aspekte, auf die ich eingehen möchte: 
Erstens - es gibt wenige Festivals, die ein zeitgenössisches Bild afrikanischer Musik und Kultur vermitteln. Natürlich gibt es sogenannte „Afrika-Festivals”, bei denen Weltmusik-Bands mit Trommeln auftreten und die einem ganz bestimmten Bild afrikanischer Kulturen verhaftet sind. Zwar wurde dieses Bild auch durch afrikanische Kultur und von afrikanischen Menschen geprägt, immer wieder repräsentiert und auf solchen Festivals reproduziert. Aber diesem Bild wird keine Chance gegeben, sich weiterzuentwickeln.

Als ich angefangen habe, im Festivalbereich tätig zu werden, gab es kaum Räume, in denen Themen wie Afro-Diaspora, zeitgenössische afrikanische Kulturen und Musik Platz gefunden haben. Als jemand, der hier geboren und aufgewachsen ist, eine Verbindung zu Ghana hat und dort viel unterwegs war, hat mir das gefehlt. Nichts sprach: „Wir repräsentieren jetzt den neuen Wind des afrikanischen Kontinents.” Deshalb habe ich angefangen, Festivals zu machen. Ich wollte einen Ort schaffen, an dem die Musik lief, die ich als junger Mensch selbst gehört habe – Afropop, also afrikanische Populäre Musik im weitesten Sinne. Mein jüngeres Ich hatte diesen Ort nicht. 

„Wir müssen jetzt zeigen, was auf dem afrikanischen Kontinent wirklich passiert, damit andere Menschen sehen, dass Afrika noch sehr viel mehr ist.”

Zweitens - neben dem Fehlen zeitgenössischer Repräsentation herrscht für Popkultur und -musik ein so beschränkter Begriff, dass dieser zu einem Ungleichgewicht auf den Festivalbühnen führt. Auf den Bühnen vieler Mainstream-Festivals sieht man beispielsweise wenige arabische Künstler*innen, obwohl sie groß sind. Ganz nach dem Prinzip: „Pop ist das, was in Europa passiert. Mainstream ist das, was in Amerika passiert.“ 

"Dabei müsste man manchmal einfach genauer hinschauen und seine Bühnen öffnen, mal anders und neu kuratieren."

Schaut man sich an, was Popmusik ist und woher sie kommt, dann bedienen sich all diese Acts im Westen auch der Musik anderer Regionen, dem lateinamerikanischen, afrikanischen oder asiatischen Raum. Sie bedienen sich und kriegen die Bühnen. Die Menschen, deren Kultur und Identität diese Musik ist, die diese Musik jeden Tag leben und das erfunden haben, woran sich bedient wird, werden jedoch nicht eingeladen.

Danitsa, Pop-Kultur 2021


M.anifest, Pop-Kultur 2022

Drittens - das Personal. Bei so klassischen Mainstream-Festivals ist es die Ausnahme, dass dort Menschen arbeiten, die so aussehen wie ich. Diverse Teams sind in der Musikindustrie insgesamt noch nicht so verbreitet. Festivals spiegeln das mit ihrem Line-up und ihrer Kuration wider. Es ist ein Kreislauf, der sich stets wiederholt. Um daraus auszubrechen, müssen sich die Menschen in einflussreichen Positionen trauen, etwas anders zu machen. Ich würde mir wünschen, dass die Festivalbranche gewagter wird.

"In unseren Charts findet man so viele arabische und türkische Künstler*innen, doch bestimmte Bereiche, wie der Booking-Bereich, spiegeln das kaum wider."

Es gibt kleinere Agenturen, wie beispielsweise die Booking-Agentur „Bomber der Herzen“, mit der ich zusammenarbeite und die von sehr jungen, diversen Menschen gemacht wird. Ansonsten gibt es wenig – beispielsweise von sich weiblich identifizierenden Menschen oder Muslim*innen. Wenn, dann machen diese Menschen das im „Do-It-Yourself-Style”, nach dem Motto „Wenn andere uns hier nicht die Räume geben, dann gründen wir halt unsere eigene Agentur…“ Das finde ich wiederum auch ein bisschen schade.

"Schade, dass große Firmen sich oftmals nicht für diversere Mitarbeitende öffnen, mit denen dann automatisch ein diverseres Booking und eine diversere Kuration zustande kommt."

AFRO x POP Festival, Köln

Eine diverse Arbeitsgruppe hat eine ganz andere Herangehensweise an die Dinge, mehr Perspektiven.
Genau. Ein diverses Team kuratiert anders als ein nicht diverses Team. Sobald die Themen anders gesetzt sind, zieht eine Veranstaltung auch andere Menschen an.

"Ein häufiger Irrglaube ganz bestimmter weißer Menschen, die womöglich einmal in Ghana oder „in Afrika“ waren, ist, dass sie jetzt wüssten was „afrikanisch” sei und wie so ein Festival kuratiert gehört."

Deshalb der vierte Aspekt - wer sind die Leute, die solche Afrika-Festivals kuratieren? Ganz selten sind das Menschen, die selbst den Kulturen entstammen, die dort repräsentiert werden sollen. Dabei ist es doch wichtig, dass diese Themen von Menschen behandelt werden, die den kulturellen Hintergrund oder dort lange gelebt haben und deswegen mitgestalten, teilnehmen und mitsprechen können. Und das in einem Umfeld, in dem alle offen sind und niemand befürchten muss: „In meiner Kuration ist jemand, der sagt ,Mmh… können wir das nicht irgendwie anders machen?’ ” Wir wollen auch „unsere“ Festivals haben.

"Letztendlich geht es hierbei auch um Authentizität und um eine gewisse Glaubwürdigkeit."

Die Festivalbranche muss sich also bewusst werden, dass sie ein Rassismusproblem hat. Erstmal anerkennen, dass sie etwas verändern muss, dass sie sensibler sein muss und ihr Personal schulen muss. Das kostet Mut, das kostet Zeit und das kostet Geld. Das ist es, was viele Leute sehen. Aber das darf keine Ausrede sein.

Afrixan Food Festival, Hamburg

Du hast eben angesprochen, dass diverse Teams in der Musikindustrie noch nicht so weit verbreitet seien. Wie lautet dein Ratschlag an Teams, die gerne diverser wären, aber nicht wissen, wie sie das erreichen?
Genau, es gibt ja auch Leute da draußen, die wirklich diverser werden wollen, aber nicht wissen, wo sie beginnen sollen. Natürlich kann man alles lesen, sich weiterbilden, sein Team schulen und und und. Mein Tipp ist jedoch, sich darüber hinaus definitiv jemanden reinzuholen, der sich einfach auskennt. Nur über diverse Menschen selbst bekommt man auch Zugriffe in die jeweiligen Communities [Link zur Begriffserklärung, Anm. d. Red]. Aus der Perspektive von jemandem, der in diesen Communities nicht unterwegs ist, ist es nicht unbedingt so leicht, Zugänge in diese Kreise zu finden. Für Leute wie mich dagegen schon, weil ich weiß, wen ich direkt ansprechen kann, da ich selbst in diesen Kreisen bin. Ich kenne die afrikanische Community gut, weiß wo interessante Bands versteckt liegen, besitze ein gewisses Gespür dafür, was gut funktioniert und was passen könnte.  

"Man will divers sein und das schafft man auch einfach nicht ohne diverse Leute. Das bedeutet, man muss Raum machen für Menschen, die divers sind."

Das heißt: Auf diese Leute gezielt zugehen, nachdem man sie per Internetrecherche rausgesucht hat?
Entweder so oder mittels Stellenanzeigen, die direkt signalisieren: „Wir freuen uns auf Bewerbungen von sowieso.“ Schaltet man entsprechende Werbung dann aber nur auf den üblichen Kanälen, bewerben sich natürlich trotzdem keine diversen Menschen. Weil sie auf diesen Plattformen nicht unterwegs sind. Man muss also den Anspruch haben, die jeweiligen Communities – sei das jetzt auf Facebook – ausfindig zu machen und gezielt auf sie zuzugehen. 

African Food Festival, Hamburg


African Food Festival, Köln

Kooperationen mit geeigneten Vereinen sind eine weitere Möglichkeit. Die wissen dann, wie man diese Menschen erreicht. Deswegen: Recherche, Beratung und Kooperation. Vereine anschreiben, die sich mit den Themen auskennen. Nachfragen: “Wir suchen das und das. Wie können wir was besser machen?” Ich rede da nicht nur von der Schwarzen Community. Wir beim Pop-Kultur Festival haben uns beispielsweise auch sehr viel mit Barrierefreiheit auseinandergesetzt.

"Diversität sieht eben unterschiedlich aus."

Das diesjährige Programm des Pop-Kultur (2022) ließ sich als Manifest lesen, dass Diversität bei euch allumfassend gedacht wird. Hat das Festival also seine Hausaufgaben gemacht?
Ich persönlich habe mit meiner Arbeit beim Pop-Kultur Glück. Es ist nicht das diverseste Team, aber es ist sehr sensibel gegenüber diesen Themen, über die wir hier gerade sprechen. Ich kuratiere und da ist eigentlich niemand, der sagt „Ne, das kannst du so nicht machen” und „Das wollen wir so nicht.“ Sondern ich bin eingeladen, als diejenige, die sich auskennt – als Expertin. Ich habe den Freiraum, das zu gestalten, das zu kuratieren, die Gäste einzuladen, die ich gerne einladen möchte. Mir wird auch der Raum gegeben, zum Beispiel zu sagen: „Für eine Gästebetreuung wünsche ich mir jemanden, der die Kultur kennt, vielleicht auch die Sprache spricht.” Damit also auch Menschen bei uns mitarbeiten, die sich auskennen. Dass ich mich bei meiner Arbeit so glücklich schätzen darf, liegt aber auch daran, dass ich eben beim Pop-Kultur arbeite und die Festivals und Institutionen, mit denen ich zusammenarbeite, schon sehr „woke” sind. Ihnen ist es bereits wichtig, sich mit diesen Themen zu beschäftigen und sie haben bereits den Willen, etwas zu verändern. 

Natalie Greffel mit Nick Dunston & Eric Vaughn, Pop-Kultur 2021

Bekommst du es aus der Branche also auch anders mit?
Ja, leider. Es fängt ja schon damit an, dass es Festivals gibt, wo kaum Frauen auf den Bühnen stehen. 
Es gibt eben auch die Fälle, in denen innerhalb einer Firma zwar gesagt wird: „Das sind Themen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, hier müssen wir mal unsere Kuration öffnen…,” in der Praxis wird es aber nicht oder nur unzureichend umgesetzt. Eine weitere Sache, die ich beobachtet habe, ist, dass Dinge ganz bewusst in Kauf genommen werden. Man bucht eine Band, weil sie gut verkauft, aber ganz klar rassistisch ist und ganz klar öffentlich rassistische Sachen macht. Und man sich aber halt denkt: „Ja, die werden halt sehr gut verkaufen, also egal.”

Spiegeln sich in der Festivalbranche rassistische Strukturen unserer allgemeinen Gesellschaft wider oder gibt es für die Branche explizit eigene Dynamiken, etwa rassistische Machtverhältnisse? 
Ich glaube, man kann das nicht voneinander unterscheiden. 

"Man würde ja meinen, dass sich eine Entertainmentindustrie wie die Musikindustrie mehr für Diversität öffnen würde."

Schließlich wird Musik auch viel von diversen Menschen gemacht. Aber das passiert nur sehr langsam. Klar, es gibt mittlerweile ein paar mehr diverse Leute. Aber gerade in ganz bestimmten guten Positionen und guten Jobs wird man immer weniger diverse Leute sehen. Woran das liegt, kann ich auch nicht genau sagen. Aber rassistische Machtverhältnisse werden dabei eine Rolle spielen. Es geht ja auch einfach viel um Geld. Das war immer so und ich glaube auch, dass viele Leute gar keine Lust haben, sich mit diesen Diversitäts-Themen zu beschäftigen. Obwohl man versucht und denkt, dass diese Themen jetzt gesellschaftlich besprochen werden, würde ich mich tatsächlich wundern, wenn sich das mit dem Anteil an diversen Teams deutschlandweit in den letzten zwei Jahren in Zahlen wirklich verbessert haben soll. Ich bezweifle das schon fast.

AFRO x POP Festival, Köln

Ähnlich wie bei dem Thema rassistische Polizeigewalt in Deutschland (Geschäftsführerin ISD Siraad Widenroth: „Der Staat Deutschland möchte keine Zahlen”) ist es bei dem Thema Rassismus in der Festivalbranche schwer, Bestände überhaupt in Zahlen festzuhalten. Wie groß der Anteil divers besetzter Führungspositionen ist, lässt sich aktuell kaum beantworten. Die Rede ist häufig von sogenannten Gleichstellungsdaten, die es braucht. 
Ja. Ich vermute, wenn man die Zahlen dazu haben würde, würde man feststellen, dass sich nicht sehr viel verändert hat. Ich bin mir bewusst, dass ich mich hier in Berlin in meiner eigenen Bubble mit sehr vielen diversen Leuten und Themen bewege. In dieser Bubble bin ich zwar super happy, weil ich mich dort sicher fühle, aber dadurch verliert man auch manchmal den Blick für die Realität. Vor kurzem war ich in München auflegen und dort haben mir die Jungs erzählt, dass es für sie sehr schwer mit solchen Themen ist. Weil sich bei einem selbst etwas geändert hat, ertappt man sich bei dem Gedanken zu glauben, es sei überall so. Aber die Realität da draußen ist eine andere.

Räumlichkeiten und Raum sind zum Beispiel etwas, was uns vorenthalten werden kann.

Dort müssen wir hartnäckig bleiben und trotzdem weitermachen. Und wenn du dann erfolgreich bist, dann kannst du deine Veranstaltung eh überall machen.

Das war bei meinem eigenen Festival, dem African Food Festival, so: Die Locationsuche war zusammen mit dem Thema Förderung (wir haben letztendlich gar keine bekommen) die größte Hürde. Die Leute, die für die unterschiedlichen Locations zuständig waren, bei denen wir angefragt haben, haben uns angeguckt und meinten so: „Was ist das denn überhaupt?” und „Ihr könnt ins YAAM gehen…” Das YAAM in Berlin ist eine Art Kulturzentrum, das vorwiegend von Schwarzen Menschen und mit Schwarzer Kultur besetzt ist. Als würde alles, was mit afrikanischen Kulturen zu tun hat, nur an einem Ort stattfinden können. Das hat mir sehr zu denken gegeben. Warum soll mein Festival nicht da stattfinden können, wo ich selbst feiern gehe? 

Es war mir wichtig, das African Food Festival gerade nicht dort stattfinden zu lassen, wo eh schon alles mit afrikanischer und schwarzer Kultur zu tun hat.

"Sondern zu sagen, wir nehmen uns jetzt den Raum, den wir haben wollen."

Und das ist uns dann auch gelungen.

Kommen wir damit hoffentlich zu den guten Nachrichten: Gibt es positive Entwicklungen, die du in der Branche wahrnimmst?
Tendenziell sehe ich eine Öffnung. Es ist schonmal der erste Schritt, dass sich Leute überhaupt mit dem Thema beschäftigen. Allerdings müssen wir aufmerksam bleiben, wie nachhaltig das alles ist. Schließlich soll das Ganze kein „pink-washing” [hier: nur vermeintliches Eintreten von Unternehmen für Diversität, Anm. d. Red.] sein, bei dem man einfach nur einem Trend nachgeht und nur so tut, als ob. 


African Food Festival, Hamburg

African Food Festival, Köln

Beim Thema Förderungen gibt es auch Fortschritte. Schaut man sich beispielsweise das „Freak de l'Afrique“ Kollektiv hier in Berlin an, in dem sich vornehmlich Schwarze DJs, Tänzer*innen und Event Manager*innen zusammenfinden und mittlerweile nationale und internationale Erfolge einfahren: Früher hatten sie es schwer, Förderungen zu bekommen. Das hat sich zum Glück gebessert. Förderlandschaften beginnen sich gerade so zu entwickeln, dass man dazu befähigt wird, mal ein ganz anderes Programm aufzustellen. Sonst sind viele Gelder immer wieder an dieselben Themen gegangen. 

"Ich beobachte, dass die Community sehr viel selbstbewusster geworden ist."

Die Leute sind laut, lauter. Nicht nur die Schwarze Community, sondern auch andere Communities stehen auf, nehmen sich den Raum und machen die Dinge einfach selbst. Darin liegt auch der Schlüssel. Als ich mein eigenes Festival gegründet habe, war das ja auch so: Ich habe einfach angefangen und es einfach gemacht. 

Du nimmst also unter anderem die Schwarze Community als eine lautere und selbstbewusstere wahr, als eine, die sich den Raum nimmt, der wiederum Möglichkeit bietet, weitere Leute zu inspirieren. „Community-Building“ durch Festivals also?

"Ich bin der Überzeugung, dass Musik, Partys und Essen die Kraft besitzen, ein Bewusstsein und einen Zusammenhalt für und in unserer Community zu stiften."

Ein Rückblick in die Zeit, in der ich mein eigenes Festival gegründet habe, beweist sich hier als ganz gutes Beispiel: Mit dem African Food Festival habe ich eine Veranstaltung ins Leben gerufen, die afrikanischem Essen zum ersten Mal so viel Raum gegeben hat und bei der gleichzeitig auch Musiker*innen aufgetreten sind. Verteilt auf zwei Tage sind dabei insgesamt 8.000 Menschen zusammengekommen. Die Reaktionen der Besuchenden waren wirklich einzigartig: Eine Besucherin und Mutter aus Uganda, die zu dem Zeitpunkt schon super lange hier in Deutschland gelebt hat, hat geweint: “Ich hatte keine Ahnung, dass Leute sich hier für unser Essen und unsere Kultur interessieren”.

African Food Festival, Hamburg

AFRO x POP Festival, Köln

Dann gab es ganz kleine Kinder, die miteinander gespielt haben und einfach ganz viele Kinder gesehen haben, die auch Locken haben, die auch so aussehen wie sie. Kinder, die in der Schule vielleicht nur ein weiteres Schwarzes Kind in ihrer Klasse haben – wenn überhaupt. Ich war an einer Schule von 800 Schüler*innen die einzige Schwarze Person. Man kann sich gar nicht vorstellen, wenn man jeden Tag Menschen sieht, die so aussehen wie man selbst. Aber das ist ein richtig krasser Moment.

Afrika ist groß, wir sind keine Einheit. Dennoch scheint Essen und Afropop ein gemeinsamer Nenner zu sein, zu dem wir alle zusammenkommen. Da realisiert man erst einmal, wie viele wir eigentlich sind. Womöglich auch zum ersten Mal. Zahlen zu sehen und zu spüren, das gibt einem wirklich etwas. Man kann das lesen, man kann das verstehen.

"Aber wenn du dich an einem Ort befindest, an dem die Menschen so aussehen wie du, sich gemeinsam für Themen interessieren, die dich wirklich betreffen, dann spürst du richtig, wie das mit dir etwas macht"

Das hilft einem auch zu verstehen, wer man ist, wo man herkommt, gibt einem auch ein bisschen Stolz, der einem hilft, durch den Alltag zu gehen. Zu wissen, man ist nicht alleine da draußen und dass es da viele Menschen gibt, mit denen man sich unterhalten kann. Über das, was einem alles schon so passiert ist, über rassistische Vorfälle im Alltag. Darüber sprechen zu können und zu wissen, dass die Leute einen verstehen und man dabei an einem Ort „safe“ [in Anlehnung an den Begriff Safer Spaces im Englischen gelassen, Anm. d. Red.] ist. 

Dass dich niemand komisch anguckt, wenn du traditionelle Dancemoves machst. Dass es okay ist, so zu tanzen und alle verstehen das und tanzen auch so. Dieses Gemeinschaftsgefühl. Ein Ort an dem man einfach man selbst sein kann und wir uns gegenseitig supporten. Ein Festival für uns, bei dem auf der einen Seite fröhliche Themen, auf der anderen Seite aber eben auch traurige Themen sichtbar werden können. 

AFRO x POP Festival, Köln


African Food Festival, Köln

All das, was du gerade erzählt hast, spricht von den Vorteilen einer diverseren Festivalbranche. Was sind also Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, damit sich die Festivalbranche nicht nur im Publikum, sondern auch im Backstage und in den Führungsebenen diverser aufstellen kann? 
Ich bin der Meinung, dass Quoten wirklich etwas bewirken. Das macht mich in den Augen anderer wohl zu einer Hardlinerin. Aber was heißt Hardlinerin? 
Ich würde mir wünschen, dass diese Veränderung von selbst geschieht. Aber über viele Themen – wie auch über die Gleichberechtigung der Frau – reden wir und reden wir und reden wir. Und es ändert sich kaum etwas.

"Zahlen und Quoten sind jetzt wirklich wichtig. Alles andere – daran habe ich den Glauben verloren."

Mit Blick auf auf staatliche Förderungen: Wir alle zahlen Steuern, egal ob Schwarz, weiß, Muslim*in, Frau oder Mann oder mit Migrationsbiografie. Das darf man nicht vergessen. Bei staatlicher Förderung sollte also darauf geachtet werden, dass mit den zur Verfügung gestellten Geldern so umgegangen wird, dass sie allen zugutekommen. Zudem sollte der Erhalt von Steuergeldern an Inklusions- und Diversitätsschulungen gebunden sein. Es fängt ja viel mit Bildung an. Erst wenn man sich damit beschäftigt, versteht man auch, welche Maßnahmen man in seinen Firmen und Strukturen effektiv umsetzen kann. Auch große Institutionen und Behörden müssen ihre Mitarbeitende schulen und sich bemühen, diverser aufgestellt zu sein.

AFRO x POP Festival, Köln

Abschließend möchte ich fragen: Wie können wir jüngere BIPoC direkt in die Unterhaltung miteinbeziehen, damit sie es nicht so erleben müssen, wie beispielsweise die Jungs in München, von denen du erzählt hast oder du selbst?
Darauf warten, bis es dir jemand gibt, daran glaube ich nicht. Wenn es kein*e andere*r für dich macht, dann musst du deine eigenen Strukturen aufbauen. Damit gibst du wiederum anderen Leuten Raum und Möglichkeiten zu sprechen und gesehen zu werden. Man muss echt viel Mut haben und leider vielleicht auch mehr Schritte gehen, als eine weiße, deutsche Person in Deutschland. Man muss sich trauen und sich nicht davor scheuen, Dinge einzufordern. 

Ich bin einfach immer wieder diese Wege gegangen, habe gefragt und nachgehakt, Praktika gemacht, um überhaupt in der Branche Fuß zu fassen. Wenn man im Festivalbereich etwas macht, was anders und neu ist, was nicht die Mehrheitsgesellschaft betrifft, dann können die Leute sich darunter erstmal nichts vorstellen. Davon darf man sich nicht von zurückschrecken lassen. Wenn ich immer das machen würde, was mir die Mehrheitsgesellschaft sagt, dann wüsste ich jetzt nicht, wo ich wär. Wenn man ein Ziel und einen Traum verfolgt, darf man sich also nicht von Worten wie „Das geht doch nicht” abbringen lassen. 

Danitsa, Pop-Kultur 2021

Das Interview mit Pamela haben wir im August 2022 geführt.

Pamela Owusu-Brenyah ist Kuratorin beim Pop-Kultur Festival Berlin und Vorstandsmitglied bei Music Women* Germany. 2018 gründete sie ihre Community Plattform AFRO x POP, die sich für die Sichtbarmachung von zeitgenössischer afrikanischer Musik und Künstler*innen in Deutschland einsetzt. Pamela ist zudem selbst DJ und nun schon seit 6 Jahren mit sehr viel Leidenschaft in der Musikindustrie tätig. Im Rahmen des Pop-Kultur 2021 feierte ihr Dokumentarfilmprojekt ADIKORO (Twi für „gleichberechtigt“) über Popmusiker*innen in Ghana Premiere. Im letzten Jahr startete sie gemeinsam mit ihrer Freundin und Kollegin Gianna Main die Gesprächsreihe Artists in Exile." 

Im Rahmen des Interviews sprach Pamela Empfehlungen zu geeigneten Anlaufstellen für antirassistische Weiterbildung im Musikbereich aus, unter anderem für: 

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Olivia Busse

Olivia ist 20 Jahre alt und lebt und studiert derzeit in Berlin. Mit dem Youth Think Tank (YTT) engagierte sie sich in ihrer Heimatstadt unter dem Schlagwort „meaningful youth participation” für eine gesellschaftlich stärkere Wahrnehmung und Einbeziehung der Forderungen von jungen Menschen. In diesem Kontext befasste sie sich unter anderem mit den Themen Geschlechtergerechtigkeit, Rassismus und Adultismus. Bei Höme tippt, textet und tanzt Olivia über und auf Festivals. Zuvor probierte sie sich bei der von der UNESCO als Modellprojekt für diversitätssensible Jugendarbeit ausgewählten „Youth Late Night Show“ des YTT als Moderatorin.