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Höme Unfiltered:

Von Wegen Lisbeth im Interview


Wenn Von Wegen Lisbeth mit wachsendem Erfolg konfrontiert werden, belächeln sie das. Erwähnt man große Hallen, kontern sie mit einem Verweis auf kleine Clubkonzerte. Ernsthafte Interviews sind schwer zu finden und pathetische Ausführungen werden abgeblockt. Statt sich damit abzufinden, dass sie sich auf einer Reise nach relativ weit oben befinden, stellen sie die Dinge in Frage und spielen damit. Entspannt und fast schon befremdlich nüchtern.

text & interview Johannes Jacobi
fotos Nils Lucas
redaktion
Ronald Rogge, Sascha Krautz, Henrike Schröder, Friederike Tesch

Ähnlich nüchtern und nichtsahnend, wie die Idee zu diesem Artikel vielleicht. Nach den ersten Fotos im Jahr 2017, entstanden auf einer Festivalrutsche durch ganz Deutschland, dauerte es weitere neun Monate bis wir das richtige Setting für ein ehrliches Gespräch fanden. Weitere sieben Monate später, ist daraus nun endlich dieses Hochhaus von Artikel entstanden.

Wir haben uns bewusst dazu entschieden, die ausführliche Unterhaltung, geführt in einer Eckkneipe, nicht zu kürzen. Es ist kein Podcast, keine Serie und nix zum wild scrollen. Es sind 16 Seiten Text, gepaart mit Bildern von ganz nah dran und der Möglichkeit hier und da mal rein zu horchen. Warum, wenn ein kurzes GIF doch viel geiler wäre? Weil wir pathetische Ausführungen lieben, stattdessen aber nur dieses eine ehrliche Gespräch haben.



Laut eurer Website habt ihr am 2.Juni.2012 im Jugendhaus Königstadt euer erstes Konzert gespielt. War das wirklich das erste?
Matze:
Ja, das war das erste Konzert  unter dem Namen Von Wegen Lisbeth. Aber wir machen schon seit der achten Klasse Mucke.

Wie sah euer Leben damals aus?
Robert:
(Lacht) Ich weiß, dass mein Papa an dem Tage Geburtstag hatte.
Julian: Stark! Ich war kurz davor mein Architekturstudium zu beginnen. Also hatte ich noch gar nichts zu tun. Das ist immer die angenehme Zeit wenn man einen genauen Plan hat, der aber erst drei Monate später anfängt.
Robert: Boah, ich erinnere mich gar nicht, was zu der Zeit war. Ich war auch am Anfang des Studiums, aber auch nicht so into it. Wir haben, glaube ich, sehr viel Spaß im Proberaum gehabt und haben gedacht, dass wir auch mal ein Konzert spielen können. Das war ungefähr der Ansporn dahinter.
Matze: Ja, bei mir genauso. Da habe ich gerade ein Jahr Geschichte studiert und schon überlegt, ob ich es nicht doch lieber lassen sollte.

Habt ihr damals schon überlegt, hauptberuflich Musiker zu werden?

Matze: Zu dem Zeitpunkt dachte keiner, dass wir Musiker werden und dass wir davon leben können

Laut eurer Website habt ihr seitdem ungefähr 254 Shows gespielt.
J: So wenig? Ich hätte gedacht mehr. Ja, aber das sind ja auch sechs Jahre.
R: Die Zahl stimmt zu hundert Prozent.
J: Die macht Robert und er ist da sehr gut organisiert.

R: Im Durchschnitt heißt das jedes Wochenende ein Konzert. Das ist schon viel.

Wer hat da das Booking gemacht zu der Zeit?
M: Das war noch die Phase, in der wir jeden scheiß Jugendclub selber angeschrieben haben, ob wir nicht irgendwie mal spielen können. Da kamen immer nur Absagen. Dann hat irgendwann einer gesagt: Ja, könnt ihr hier für einen Kasten Bier. Und wir dachten: Boah, mega geil!
J: Wir kannten dann irgendwann jemanden von Rock Berlin. Der hat einen Bandcontests organisiert. Über den hatten wir dann öfter mal einen Gig.

Habt ihr ein paar spannende Anekdoten aus der Zeit?

J: Ich kann mich an den Tiefpunkt erinnern: ein Konzert in der Weißen Rose. Das wurde abgesagt, weil zu wenig Leute da waren.

R: Dabei haben fünf Bands gespielt bzw. hätten spielen sollen.
J: Es gab keine Werbung im Vorhinein, das heißt niemand wusste es. Acht oder neun Gäste waren da und dann hat der Veranstalter das Konzert abgebrochen.
R: Dann sind wir mit dem Equipment zur Oberbraumbrücke gefahren und haben ein Frustkonzert gespielt. Eigentlich haben wir nur Lambada gecovert und Epic Sex Guy.
M: Das kam mega gut an bei diesen ganzen Warschauer-Brücke-Techno-Leuten. Ist gar nicht unsere Mucke, aber die sind total drauf abgegangen. R: Das sind die ersten Live Auftritte, die man von uns auf YouTube finden kann. Von Wegen Lisbeth live auf der Warschauer Brücke.
M: Wir haben halt nicht eingesehen, dass wir nicht spielen durften. Wir haben extra ein Auto gemietet.



Gab es noch mehr?
J:
Das andere, woran ich mich richtig gut erinnern kann war irgendwo im Kino in Klein Machnow. Wir wussten vorher, dass einer von einem großen Label uns bei Fritz Unsigned gehört hatte und an dem Abend da sein würde. Wir waren übelst aufgeregt und dachten:

Jetzt kommt der Bandscout vom Major Label und wir werden mega berühmt.

J: Er hatte sich angekündigt und ist auch zum Konzert gekommen. Wir haben ihn jedoch gar nicht gesehen und waren total besoffen – so wie bei allen Konzerten. Deshalb war es ultra schlecht – wie damals immer.
R: Wir haben uns dann am Görli mit ihm getroffen, in so einer Kneipe. Er meinte wir hätten kein Potenzial.

J: Na ja, auf jeden Fall hat er uns dann gesagt, dass wir der chaotischste Haufen sind, den er gesehen hat. Er würde die Mucke geil finden, aber er sieht’s nicht, dass wir das jetzt gebacken kriegen. Wir sollen uns in den Proberaum einschließen und uns organisieren und nicht so viel vorm Konzert trinken. Dann könnte das irgendwann was werden. Er gab uns zwei Jahre.

Und habt ihr euch hingesetzt und ernsthaft etwas verändert?
M:
Ohne Scheiß, das hat uns echt motiviert. Wir dachten, dem zeigen wir es jetzt.
J: Wir hatten ein richtiges, ernsthaftes Gespräch nach einer Bandprobe. Wir haben dann festgelegt, dass wir drei Mal die Woche proben und alle pünktlich kommen. Mit einer 2€ Zuspätkomm-Regel.

Könnt ihr euch ungefähr erinnern, was ihr 2013 an Gage bekommen habt?

R: Ungefähr 80 Euro und Freigetränke.

Folgende Situation: Zwei, drei Shows laufen super und alles geht krass ab und dann kommt die super Abfuck Show im Club und alles fühlt sich scheiße an. Kennt ihr das?
M:
Nee, irgendwie nicht. Das ist bei uns alles langsam gewachsen.
J: Bei uns ist alles Schritt für Schritt gewachsen. Ich glaube, das hat auch Vorteile gehabt, weil wir uns nicht so einen Druck währenddessen gemacht haben und ständig daran dachten, was passiert, wenn alles zusammenbricht. Andererseits haben wir nie so den Moment gehabt, in dem wir uns klar gemacht haben, wo wir jetzt gerade eigentlich stehen.
M: Das machen immer nur Leute von außen. Man muss ja auch sagen, dass wir erstmal nur als Vorband getourt sind. Da konnte man sich selber nicht so einschätzen. Ein halbe Stunde vor einem Publikum zu spielen, ist ja nicht so schwierig.

J: Und danach waren wir immer scheiße drauf.
M: Ja, weil du nicht wusstest, warum das Publikum klatscht. Wegen uns? Finden die uns wirklich geil? Oder wollen die eigentlich nur die Band nach uns sehen? Deswegen waren wir nie so mega euphorisch.
J: Wir haben uns eigentlich immer gegenseitig angekackt, wenn sich wer verspielt hatte. Die Stimmung nach den Konzerten war in den ersten zwei Jahren eher schlecht.
M: Nein, finde ich überhaupt nicht.
R: Hä? Die erste eigene Tour war viel krasser. Die war mega geil. In Fulda haben wir vor 15 Leuten gespielt und haben es trotzdem gefeiert, weil uns egal war wie viele Leute da sind.

Was war das Dümmste was je ein Veranstalter zu euch gesagt hat?

M: Es gibt keinen Wein mehr!

J: Oder der Typ in Chemnitz, der hat uns nach dem Soundcheck erzählt, dass die Subwoofer noch nicht angeschlossen sind.
R: So nach dem Motto: Ihr könntet doch mal die Anlage anmachen.
J: Oder die Typen in Wiesbaden, die meinten sie gehen jetzt erstmal Kaffee trinken. Und womit? Mit Recht und zwei Stück Zucker. Dann war auf einmal niemand mehr in dem Laden und wir konnten alleine aufbauen. Aber für den Spruch hat es sich schon gelohnt.

Wie sieht es mit den Absteigen aus, war da ein Superfail dabei?
M:
Da haben wir wahrscheinlich mehr durch als jede andere Band, weil wir mit Couchsurfing angefangen haben. Da waren abgefuckte Sachen dabei. Wisst ihr noch die Sache in Konstanz? Du hast ja auch immer so ein bisschen das Gefühl, dass du dich um die Leute kümmern musst. Da war so ein Dude mit seiner Freundin und er hat uns noch die Stadt gezeigt. Die Freundin hatte aber so gar keinen Bock auf uns. Die wollte einfach nicht, dass wir in der Wohnung chillen.
J: Ich kann es aber auch verstehen – so übelst ranzige, verschwitzte Typen die nachts ankommen.
R: Ich konnte die ersten zwei Jahre noch zu jedem Konzert sagen, wo wir gepennt haben. Ich konnte mich dann an das Hotel oder ans Couchsurfing erinnern. Irgendwann fängt es aber an zu verschwimmen.



Es gibt aber nicht diese eine Sache, die von einem Club organisiert wurde, wo ihr euch jetzt noch fragt, was da los war?
J:
Doch, in Hamburg gab es Bettwanzen in einer Künstlerwohnung.
M: Ja, da hingen ein paar Keime rum. Und bei der ersten Kantereit Supportshow war ein alter Kindergartenkumpel von mir dabei. Sein Opa war gerade gestorben und deswegen stand sein Haus leer. Wir haben da geschlafen, wo der Opa eine Woche vorher gestorben war.
J: Das war so creepy. Oben in dem Ding gab es ein Krankenhausbett und an den Treppen gab es den Rentnerporsche der immer hoch und runter fährt. Deswegen haben wir alle im Wohnzimmer gepennt, weil keiner Bock hatte, da hoch zu gehen.
R: Wir haben aber auch schon in einem Schloss gepennt. Das gehört meiner Patentante, mit einem Stall, der total schön renoviert ist, mit zwei Meter dicken Wänden.

Man wird morgens wach und ist einfach in einem Schloss. Nachts schreit dann noch der Pfau.

Was würdet ihr gerne in euren Rider reinschreiben, traut es euch aber nicht, weil die Leute sonst denken würden: „Die haben doch nicht mehr alle Latten am Zaun“?
J:
Ne Flasche Champagner würde ich schon gerne reinschreiben, aber irgendwie finde ich das daneben.
Oder Ayran, aber das ist auch so eine asoziale Sache. Das bestellt man dann und am Ende trinkt den niemand. Dann steht der da und man hat ihn vielleicht bei 2 von 15 Konzerten getrunken. Klar ist Ayran geil, aber meistens hat man dann doch keinen Bock.
M: Wir haben mal Bumbum-Eis drauf geschrieben.
J: Das war sogar die erste eigene Tour. Da wollten wir uns total kess etwas ausdenken, was sonst niemand macht. Und direkt beim ersten Konzert auf der Tour haben wir dann eins spendiert bekommen.

Ihr habt das gerade schon angeschnitten: Gibt es einen Moment, in dem ihr euch überlegt habt, was da potenziell draus werden könnte und in welche Richtung das gerade geht?

R: Die Situation hatten wir, da saßen wir auf der Terrasse und haben angefangen Aufgaben zu verteilen. Du bist der web.de-Beauftragte, du der Finanzbeauftragte und du bist für Facebook zuständig.
J: Der Einzige, der es wirklich durchgezogen hat, diese Aufgaben zu erledigen ist Robert. Er ist aber auch immer noch der Finanzbeauftragte und das macht er auch sehr gewissenhaft.

J: Das hat sich auch Stück für Stück entwickelt. Es ist immer unsere Entscheidung gewesen, wie viel wir lieber studieren wollen und wie viel wir in die Band stecken wollen. Irgendwann haben wir das als so geile Chance gesehen, dass wir gesagt haben: Scheiß auf die Uni. Lass uns erstmal ein bisschen Musik machen.
M: Wir hatten dann den Plan ein Album aufzunehmen, wussten aber einfach nicht wann. Da hatte Element of Crime schon angefragt und überlegt uns mitzunehmen. Wir haben uns mit Sven Regener  in einem Biergarten getroffen und er meinte nur: „Ey Jungs, warum denn nicht einfach jetzt?“ Er hatte recht.

Letztes Jahr habt ihr dann ein paar Festivals mit dem Nightliner abgeklappert. Wie war das für euch? Das bringt ja auch eine Menge Extrakosten mit sich. Habt ihr da viel diskutiert? Anfangs macht man sich ja mal über Bands lustig, die im Nightliner ankommen.
J:
Wenn, dann hab ich mich darüber lustig gemacht, weil ich eigentlich neidisch war. Ich hasse diese scheiß Autofahrerei. Das ist die größte Zeitverschwendung, die es gibt. Ich bin im Wachkoma, ich schlafe, aber am Ende bin ich trotzdem müde.

M: Zu dem Zeitpunkt, wo wir uns für den Nightliner entschieden haben, wäre es einfach gar nicht mehr anders gegangen. Die Strecken waren zu lang.

R: Wobei wir das das Jahr davor noch gemacht haben. Da haben wir noch den Papa von Dotz  und Julian rangeholt, damit er als Fahrer mitkommt. Er hat die Kilometer wirklich runtergerockt.
J: Der ist acht Stunden durchgefahren.
R: Da haben wir in sieben Tagen sechs Festivals gespielt. Das war alles von Luzern bis Norddeutschland – und alles im Zickzack. Ein Tag in Niedersachen, dann Bayern und dann wieder Niedersachsen.
J: Da haben wir sicherlich 4.500 Kilometer gemacht.
R: Das war noch in einem Sprinter und danach haben wir gesagt, wir gucken einfach mal wie es so im Nightliner ist.

Und, wie war danach die Stimmung?
J:
Ich fand es von der ersten Sekunde an geil!
M: Ich fand es auch mega geil.
J: Der erste Abend war schon super gut. Wir haben auf dem Haldern Pop Festival gespielt. Wir kamen an und ich bin gerade aufgewacht, gucke aus dem Fenster und sehe diese Pferdekoppel die daneben ist. Dann ganz entspannt gefrühstückt und ein bisschen rumgelaufen. Man hat einfach Zeit. Man sieht das Festival, weiß auch wo man spielt und kriegt mehr mit als nur diesen abgezäunten Bereich.
M: Es ist einfach mega der Luxus und klingt jetzt sehr romantisch: Dadurch, dass wir vorher nur so Schweinetouren gemacht haben, haben wir es am Ende voll wertgeschätzt.
J: Das ist eine Sache, die wir öfter machen werden, weil es auch dieses Jahr nicht anders möglich sein wird. Ich werde es jedes Mal wieder wertschätzen, wenn wir nicht den ganzen Tag im Auto hängen müssen.
R: Auf dem Singoldsand Festival gab es eine Sauna. Und weil wir Nachts nicht weg fahren mussten, sind wir mit den Leuten von dem Festival noch in die Sauna, haben uns mega abgeschossen und sind um 7 Uhr morgens ins Hotelbett gefallen. So was kann man leider nicht mehr machen, wenn man auf einmal mit dem Nightliner los muss. Man verpasst die Party. Wobei es bei manchen Festivals auch nicht so lange geht.

J: Beim Haldern haben wir danach gefeiert und einer von uns hat noch ins Nightliner Waschbecken gekotzt und hat es dann mit Kaffeebechern in die Toilette geschaufelt.

Wie ist das für euch auf Tour? Man lebt ja in einer Art Blase. Redet ihr darüber? Ich habe mich letztens mit jemandem unterhalten, der es nach der Tour befremdlich fand, dass er sich wieder selber ums Einkaufen kümmern muss. Außerdem mussten sich seine Freunde wieder daran gewöhnen, dass er wieder da ist und haben trotzdem oft vergessen sich zu melden. 
R:
Man kommt schon ein bisschen verwöhnt wieder. Man ist es halt gewohnt, dass der Backstage mit Essen voll ist.
J: Ich sehe es eher anders herum. Ich vermisse es, selber zu kochen. Das ist für mich so ein alltägliches Ding. Die Zeit die man alleine ist, wird irgendwann extrem wichtig. Am Ende ist es ja auch eine sehr stumpfsinnige Arbeit.

Also Arbeit klingt jetzt so negativ, aber am Ende schleppen wir die meiste Zeit Kisten, bauen was auf, spielen ein Konzert, man besäuft sich, geht ins Bett und fährt Auto. Und das gleiche dann nochmal.

Nach der ersten Woche hören so langsam die tiefgründigen Gespräche auf. Die hat man dann aber hoffentlich noch mit Leuten, die man kennenlernt. Am Ende ist es viel mehr Routine, als ich es im Alltag gewohnt bin. Deswegen fand ich es voll angenehm, als ich nachhause kam und mal über andere Sachen nachdenken konnte oder tatsächlich mal was für die Uni zu tun.

Wie war es am ersten Morgen nach dem Abschluss eurer Hallo Dispo Tour wieder im eigenen Bett aufzuwachen?

M: Ich fand es ziemlich geil. Ich melde mich dann auch erstmal zwei Monate bei gar keinem. Du hast ja schon einen krassen Overkill. Du hast jeden Tag tausend Leute um dich rum und ich finde es dann sehr angenehm, wenn es nicht mehr so ist. Ich brauche die Zeit, um mich wieder dran zu gewöhnen.

Hat euch etwas gefehlt am Ende? Hat das Tourleben irgendwas mit euer Wahrnehmung der Realität gemacht?
J:
Wir hatten da vor eineinhalb Jahren einen Punkt – vielleicht waren es auch zwei Jahre – da haben wir nur gespielt, gespielt, gespielt: zwei Vorbandtouren, zwei eigene Touren. Das hat man schon gemerkt.

Wir waren zwei Drittel des Jahres nur Band und vielleicht ein Drittel zuhause. Das war zu viel und seitdem sind wir alle ziemlich rigoros.

J: Das ist generell einer der größten Punkte über die wir sprechen: Wann können wir Urlaub machen? Also nicht, dass wir das kacke finden, aber es ist super wichtig, um das was wir machen, auch gut zu machen. Wenn Matze sonst anfangen würde nur noch Texte über das Leben im Nightliner zu schreiben, weil wir nichts anderes mehr haben, wären wir am Ende.
M: Wir sind ja jetzt  auch nich so mega Fame, dass man uns auf der Straße erkennt oder so. Es gibt wenig Gründe das man so abheben würde.

Aber irgendwann kommen ja Dinge, die total befremdlich sind, über die man sich jetzt noch lustig macht. Mehrere Manager, eine Crew die man vielleicht nur zur Hälfte kennt, usw… 
M:
Das haben wir gemerkt, vor allem bei der Kraftklub Supportshow. Da haben wir oft drüber geredet, dass uns das voll abgetörnt hat. Gerade, was du eben auch meintest. Du kennst deine Crew kaum noch. Da rennen voll viele Leute für dich rum aber du weißt gar nicht, wie die heißen.
J: Mich haben viel mehr diese Läden abgetörnt in denen die spielen.
M: Wenn du in irgendwelchen Mehrzweckhallen spielst ist das einfach nicht geil.

Da haben wir überlegt, ob wir überhaupt an den Punkt wollen – wenn man es sich überhaupt aussuchen könnte.

Könnt ihr das dann vermeiden?
M:
Wir haben überlegt, jetzt ein richtiges Scheißalbum zu machen. Haha!
J: Genau, damit wir wieder in den 150er Clubs landen.
R: Irgendwann ist es nur noch eine Frage der Zeit. Das SO36 in Berlin ist ja schon eine richtige Institution und da wollten wir gerne mal spielen, weil es ein Kindheitstraum war. Dann war die Nachfrage aber so groß, dass wir da direkt dreimal hintereinander spielen mussten. Wir hätten wahrscheinlich auch noch drei weitere Male spielen können.

Aber meint ihr, dass das eure Zukunft ist?
R:
Man könnte ja diese Größen, die wir auf der Hallo Dispo Tour hatten ewig fortführen, dann würde die Tour halt immer länger werden.

Dann spielt man in jeder Stadt den gleichen Club eben drei oder vier Mal. Das geht aber irgendwann Zeit- und kraftmäßig nicht. Keine Ahnung, wie groß das bei uns noch wird, aber man muss es eben schaffen, das Ganze entspannt größer werden zu lassen, ohne gleich den Overkill zu bekommen.

Aber irgendwann geht es ja in die Richtung und dann muss man sich hinsetzen und konkret darüber sprechen.
J:
Das passiert Schritt für Schritt. Es gibt ja nicht ein großes Gespräch. Wir haben jetzt z.B. gerade drüber gesprochen, dass wir doch noch jemanden mitnehmen müssten für die Festivals, weil einfach sehr viel Bühnenbild aufzubauen ist.

In welcher Kombination seid ihr die letzte Tour gefahren?
J:
Wir haben einen Tontechniker, unseren Mischer, einen Monitormischer, einen Lichtmann und einen Tourmanager und meistens noch Nils als Fotografen. Dann noch einen Kumpel der sich auf der Tour um den Merch kümmert und auf Festivals wird der noch ein Art Blog machen. Wir lassen den machen was er will, solange er es in schriftlicher Form raushaut. Wir müssen jetzt noch zusätzlich jemanden fürs Lichtsystem mitnehmen.
M: Wir haben aber auch nicht das Gefühl, dass es so krass ausarten muss. Aber wenn wir sie hätten, hätten wir krassen Respekt davor, weil wir wissen, dass es auch richtig scheiße sein kann.
J: Ich bin auch kein Fan davon, einfach Leute mitzunehmen, bei denen man gar nicht so genau weiß, warum überhaupt. Bei ganz großen Produktionen wird das glaube ich gemacht, weil die Musiker einfach überhaupt nichts mehr damit zutun haben wollen. Manchmal wünsche ich mir das zwar schon, aber am Ende ist es einfach purer Luxus.



Wie ist das für euch auf größeren Festivals, auf denen man auch mal mit einem Publikum konfrontiert wird, das etwas schwierig ist?
M:
Auf Tour hatten wir das mal, dass am Merchstand Leute mit Freiwild Bauchtasche standen. Was machen die auf unserem Konzert? Ab einem gewissen Punkt kannst du dir das nicht mehr aussuchen, wer deine Musik feiert und wer nicht.

J: Man kann nur sagen, dass man es scheiße findet.

Was wäre für euch das Worst-Case Scenario an einem Festivaltag?
R:
Erstens: Es regnet! Wir müssen im Regen ausladen. Zweitens: Die Leute die dort arbeiten, sind super unmotiviert und man hat das Gefühl, dass sie jeden Augenblick unsere Instrument fallen lassen.
J: Drittens: Es gibt nichts zu essen. Das ist das Schlimmste!
R: Die Band, die vor einem gespielt hat, überzieht und man hat nur noch 20 Minuten für den Soundcheck, die natürlich nicht reichen.

Gibt es Geschichten, die nach all den Jahren auf Tour immer wieder erzählt werden?

R: Ich hab einen Vorschlag: Ich mache euch einen Wein und ihr schreibt mir einen Song.

M: Es war glaube ich nicht mal ein richtiges Festival, sondern eher ein Stadtfest auf einem Weingut und der Typ hat uns dahin gebucht. Er hat uns utopisch viel Geld geboten und es war super merkwürdig, weil es ein Dorffest war. Er war total close mit dem Bürgermeister. Der kam dann auf die Bühne und hat uns angekündigt.

J: Er hat mit einem Säbel den hauseigenen Sekt geköpft und danach durften wir spielen.

Und danach kam der Veranstalter mega betrunken und hat uns vorgeschlagen: Leute wie wärs? Ich mache euch jetzt einen Vorschlag. Ich mache euch einen Wein und ihr schreibt mir einen Song.
M: Der hätte dann einen Von Wegen Lisbeth Wein gemacht und wir hätten einen Song geschrieben.
J: Wir haben da wirklich lange drüber nachgedacht.
M: Wir haben 30 Flaschen Wein lang drüber nachgedacht. Da sind wir bis heute Stolz drauf.
J: Als wir nochmal nach mehr Wein gefragt haben, war er richtig sauer, weil wir zu viel getrunken hatten.

Wichtigstes Travelessential?
J:
Kissen!
R: Kissen! Womex und Aspirin.
M: Kissen und Ohrstöpsel.

Wie geht ihr mit der Klischee-Situation Frontmann vs. Band um?

J: Das ist oft Thema.
M: Das hat sich einfach so ergeben. Manchmal werde ich jedoch ein bisschen gemobbt.
J: Matze ist halt ein scheiß arroganter Fatzke, er ist super faul aber er kann es halt auch sein.

Also kein Thema gewesen bei euch?
M:
Nur wenn man mir sagt: „Ey, wieso hast du denn nicht das angesagt?“ Sag es halt selber an.
J: Aber du bist doch vorne mit deinem Mikrofon viel lauter.

Wie sieht euer Leben heute aus: Arbeit, Wohnung, Zukunftsängste?
J: Hä?

Na wenn Mama euch fragt, wie es euch heute geht.

M: Mir gehts gut, Mutti.

J: Mach dir keine Sorgen. (mit verstellter Stimme): Aber was machst du dann später mit deinem Leben?

Kommen solche Fragen noch?
J:
Seltener auf jeden Fall.


War es ein langer Prozess, das den Eltern verständlich zu machen?
J:
Unser Beschluss die Uni nicht mehr weiter zu machen, den musste man ihnen schon irgendwie verklickern und zu diesem Zeitpunkt haben mich meine Eltern finanziert. Dann meinten sie nur, dass ich gucken muss, wie ich mich finanziere. Aber das war gut, weil man es dadurch ernster nimmt.

Aber hast du manchmal noch Ängste, was ist, wenn es vorbei ist?
J:
Ich will meinen Abschluss auf jeden Fall noch machen, aber nicht aus Angst, sondern eher weil ich es schade fände. Ich habe zwölf Semester lang studiert. Mir ist die Sache ja nicht egal, sonst hätte ich schon komplett abgebrochen.

Es geht eher darum, dass ich Angst habe, dass wenn wir uns treffen und das Jahr durchplanen, 2019 auch schon wieder durchstrukturiert ist.

Das zweite Album ist für uns wichtig, weil man für das erste ewig Zeit hatte und mit dem zweiten steht und fällt, ob wir es schaffen, uns immer wieder zu motivieren und was so geiles zu produzieren, dass die Leute immer noch dahinter stehen.
M: Hauptsache wir verlieren den Spaß nicht. Ich finde es ein bisschen scary, dass man die nächsten zwei Jahre schon durchgeplant hat. Wobei ich mir auch nicht vorstellen könnte, was anderes zu machen.

Dafür ist es viel zu sehr das, was ich machen möchte. Ich hab auch keine Idee in welchem anderen Job ich überhaupt gut wäre. Von daher ist das schon ein ziemlicher Traum was wir gerade machen und wir hoffen, dass wir das ewig machen können.

J: Wobei ich diese Zukunftsangst auch ein bisschen abgelegt habe, als ich mal 5 Monate Praktikum in einem Büro machen musste. Vielleicht irgendwann, wenn sich die Situation ändert, aber im Sommer im Büro hängen und machen was einem gesagt wird? Das war ein richtig schockierendes Erlebnis.

M: Wir fühlen uns da schon sehr privilegiert, das so machen zu dürfen.

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