“Wer bestimmt eigentlich, was cool ist und was nicht?” Singer/Songwriterin Antje Schomaker zumindest, bewegt sich jenseits der cool/uncool Grenzen in einem Raum voller Selbstreflexion und Güte.
interview & konzept Isabel Roudsarabi
fotografie Sascha Krautz
video Karsten Boysen
schnitt & design Lena Dierkhüse
lesezeit 10 Minuten
Wir haben mit dem einzigen Act auf unserem Festival Playground 2021 darüber gesprochen, woher ihr Vertrauen in sich selbst kommt, warum jede und jeder von uns eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft hat und über die Hoffnung, dass sich alles irgendwann zum Guten wendet.
Hallo Antje, schön, dass du hier bist!
Wie war das so für dich, auf dem Playground anzukommen und nach anderthalb Jahren zu wissen: Es passiert wieder was - hier sind 80 Festivals, die dich potenziell buchen könnten?
Antje: Dass hier potenzielle Festivals sind, die mich buchen könnten, hat mir erstmal sehr große Angst gemacht, das habe ich versucht auszublenden. Ich habe einfach versucht, alles zu genießen und Gänsehaut bekommen, als ich "Handbrotzeit" gesehen habe.
Und es war wirklich sehr bereichernd. Was ich vor allem super fand, war zu merken, dass das Thema [Gendergerechtigkeit, Anm. d. Red.], was mich ja im letzten Jahr sehr stark beschäftigt hat, auch hier sehr aktiv besprochen wurde. Und das auch "auf Augenhöhe". Das war total toll als Künstlerin mitzubekommen, dass sich Veranstalter*innen da so aktiv Gedanken machen und daran arbeiten.
Auf jeden Fall. Ich glaube, dass ganz viele von den Leuten, die hier sind, sich in der Vergangenheit zwar lose mit solchen Themen beschäftigt haben, aber das Wissen, wie mehr Diversität und Sichtbarkeit geschaffen werden kann, fehlt vielleicht hier und da noch.
Glaubst du denn, dass es irgendwann mal diese Utopie “Festivals in 2030” - einen Ort, einen Raum geben kann, wo das nicht mehr passiert?
Ich glaube, dass wenn man daran glaubt, dass es diesen Raum gibt, dann ist das auf jeden Fall ein Antrieb und eine Hoffnung. Und ich glaube, ohne diese Wunschvorstellung - dass das irgendwann möglich ist, dass keine Diskriminierung mehr auf Festivals oder überhaupt in irgendeinem gesellschaftlichen Raum stattfindet - kann ich das alles gar nicht machen.
Diese Sprüche von wegen: "Ach das wird doch immer so sein" oder "Ach, das Rock am Ring Festival wird man nicht ändern können", sind total entmutigend. Wir müssen doch alle den Anspruch haben, diesen Optimismus haben, um unseren Antrieb und unsere Energie aufrecht zu erhalten.
Ich mache das nicht für 3% Frauenquote auf Festivals, sondern für 50/50.
Obwohl, das ist ja jetzt auch eher binär gedacht, vielleicht zu plakativ. Aber ich find der Anspruch sollte schon da sein.
Es gab hier auch einen Vorfall, von dem wir mitbekommen haben, bei dem wir die Person dann ermutigen konnten zum Awareness Team zu gehen. Und hier gibt es ein Awareness Team und da hat man auch gemerkt, wie wichtig es ist, dass das existiert, man eine*n Ansprechpartner*in hat und das dokumentiert wird.
Würdest du dich selber als politischen Menschen bezeichnen? Und wenn ja, wie würdest du das für dich definieren?
Ich habe das Gefühl, dass marginalisierte Gruppen politisiert werden, weil sie es - weil wir das müssen. Auch, wenn man das vielleicht gar nicht will. Als ich Sängerin werden wollte, habe ich nicht gedacht, dass damit auch politische Arbeit einhergeht. Aber ich habe gemerkt, dass ich das machen muss, um überhaupt Türen zu öffnen, die für mich verschlossen sind und auch für Newcomer*innen nach mir.
Ich war schon immer ein politischer Mensch, bin aktiv seit ich zwölf bin und Mitglied bei den Grünen. Aber ich finde nicht, dass man sich für eine Partei aussprechen muss, so wie ich das tue oder wie andere Künstler*innen das auch machen, sondern leider ist man ja schon politisch, wenn man sich antirassistisch äußert, oder? Wobei das für mich gar nicht politisch, sondern normal ist eigentlich. Ich glaube, das ist sowieso immer Definitionssache.
Glaubst du, man hat als Künstler*in also gar keine Wahl mehr, ob man sich zu Dingen äußern will?
Ich finde es total wichtig, dass wir Menschen die Möglichkeit geben, sich zurückzunehmen und sich nicht zu äußern. Mir werden ganz oft Dinge geschickt, und nach meiner Meinung gefragt oder ich werde gebeten, etwas dazu zu teilen. Und ich glaube, dass es da ganz wichtig ist, dass man seine eigenen Ressourcen einzuschätzen lernt und sich auch abzugrenzen weiß.
Wenn jemand nichts zu etwas sagen will, dann müssen wir das respektieren und es gibt immer Gründe, warum jemand das vielleicht auch gar nicht kann. Gerade bei dieser Samra Geschichte fand ich sehr erschreckend, wie auf einmal von Feature Künstler*innen erwartet wird, dass sie sich direkt dazu äußern. Dabei wissen wir gar nicht, ob die vielleicht selber retraumatisiert werden, selbst Betroffene sind.
Gleichzeitig finde ich, gibt es trotzdem Tage wie den 19. Februar, wo ich glaube, da müssen wir entweder keine Werbung machen oder was sagen. Da schicke ich dann schon meinen Künstler*innen Freund*innen einen Reminder, oder frage "Hey, warum machst du gerade Werbung für deinen Merch und sagst nichts dazu." Natürlich immer auf eine respektvolle Art und Weise.
Also ich finde, es gibt keine klaren Grenzen, wer was wann sagen soll. Und ich finde, wenn man selber betroffen ist, dann ist alles valide, was man tut oder nicht tut.
Auf mich wirkt es so, als würdest du sehr diplomatisch mit solchen Dingen umgehen, du bist sehr ausbalanciert in deinen Aussagen und dem, was du in der Öffentlichkeit tust. Aber hast du manchmal auch Momente, wo du einfach alles scheiße findest und alles hinschmeißen willst, weil das eben dann doch noch immer diese abgefuckte Musikindustrie ist?
Ich habe sehr oft die Momente, in denen ich alles scheiße finde und ich vor allem im letzten Jahr einfach müde geworden bin. Deshalb hab ich mir im Privatleben jetzt selber Grenzen geschaffen. Ich fand es auch total wichtig zu sagen: Ich mach das jetzt hier gerade nicht. Ich leiste jetzt nicht schon wieder unbezahlte Bildungsarbeit, damit ich dir was über Sexismus beibringen. Hier ist ein Buch, lies das, lass mich in Ruhe.
Ich bin sehr viel wütend geworden.
Und ich habe auch gemerkt, dass mich das Thema und auch die Arbeit damit belastet hat und ich mir da vor allem Anfang des Jahres [2021, Anm. d. Red.] echt Zeit nehmen musste. Ich habe alle Social Media Apps gelöscht und bin einen Monat raus gewesen, mal weggefahren, um einfach zu heilen von dem was mir passiert ist mit meinem Song "Auf Augenhöhe." Es ist einfach ein sehr anstrengender Prozess.
Ich finde auch, da fehlt manchmal der Respekt vor dem, was man eigentlich damit tut, sich zu Dingen öffentlich zu äußern. Das ist ja kein Spaß. Die ganze Samra Debatte ist kein Spaß. Meine Freundinnen bekommen gerade Vergewaltigungs-Androhungen, weil sie sich dazu geäußert haben und wir telefonieren hier das ganze Wochenende miteinander. Ich spreche mit Anne Löhr, einer Psychologin darüber, wie wir damit umgehen. Das ist ja super anstrengend und verlangt viel von einem. Und auch da musste ich lernen, manchmal das Handy auszumachen, schaukeln zu gehen oder weiß ich nicht was. Wenn man sich da nicht die Zeit nimmt, zu heilen, macht uns das halt alle kaputt. Anfang des Jahres war für mich ein Limit erreicht, wo auch meine Musik drunter gelitten hat.
Aber auch jetzt, wo ich wieder an einem guten Punkt bin, versuche ich ehrlich zu kommunizieren und zu sagen: "Hey, ich habe jetzt therapeutische Hilfe und die verlangt viel Kraft und Ausdauer."
In wie weit findest du, haben Künstler*innen auch Verantwortung gegenüber ihres Publikums? Ist das Thema auch bei euch im Team?
In meinem Team ist es kein Thema, meine politische Arbeit oder vielleicht eher aktivistische Arbeit… das mache ich einfach so und das überlege ich mir auch vorher nicht. Man muss ja sehr reaktiv sein und vor allem emotional, aus einer Selbstverständlichkeit heraus. Und ich finde, das ist auch ein sehr großes Privileg.
Mir wurde zum Beispiel mal nahegelegt, vielleicht in Interviews mehr über meine Musik zu sprechen und dann mal ab und zu über was Politisches. Aber wenn ich in einem Interview eine sexistische Frage gestellt bekomme, dann kann ich nicht nicht reagieren.
Insgesamt finde ich aber nicht, dass Künstler*innen Verantwortung haben, sondern dass jede*r eine Verantwortung hat.
Nur auf uns schauen halt sehr viele Leute und wir stehen manchmal vielleicht vor 2.000 Leuten am Abend oder vor 20.000 bis weiß nicht wie viel Follower*innen am Tag. Und mit der Reichweite hast du ja irgendwie noch mehr Verantwortung. Aber trotzdem hat jeder einzelne Mensch, jeder der auch hier ist und keine 20.000 Follower hat, diese Verantwortung vier Stunden mal bei Spotify Exit Racism zu hören und mal in seinem Umfeld mit Frauen oder Non-binaries zu sprechen.
Was ist denn deine Einstellung zu der aktuellen Kulturpolitik?
Man kann auf jeden Fall kulturpolitisch vieles besser machen und ich finde vor allem ist da ein direkter Austausch wichtig. Weil sich die Politiker*innen lange irgendwas ausdenken und dann mit einer Musikerin drüber reden und merken: Das funktioniert ja finanziell zum Beispiel gar nicht, was da geplant wurde.
Wir haben jetzt auch mit verschiedenen Künstler*innen ein Bündnis geschlossen. Und der Felix von den Leoniden zum Beispiel, der spricht gerade aktiv mit Politiker*innen. Das machen wir aber nicht öffentlich, sondern es ist intern, also keine große Kampagne dazu, oder so. Sondern es geht wirklich darum, aktiv zu werden.
Auf verschiedenen Ebenen muss Politik glaube ich einfach noch mehr in die Gesellschaft rücken und wir versuchen da von der Kultur-Seite gerade auf die Politik zuzugehen. Und ja, ich glaube das klappt ganz gut.
Okay, genug Politik Talk… Musik. Wie sieht es denn aus? Wie geht's jetzt weiter für dich?
Ich habe viel geschrieben und spiel diesen Sommer ein paar Festivals. Wir planen jetzt die nächsten Releases und packen dann alles in ein Album.
Steht für dich auf dem Plan, auch mehr international zu spielen?
Also ich möchte auf jeden Fall ein Feature mit Harry Styles, das ist mein Ziel. Und meine Managerin Illy und ich, wir glauben daran auch sehr fest. Und John Mayer - Illy muss John Mayer kennenlernen! Wer jemanden kennt, bitte Bescheid sagen!
Was glaubst du waren die Einflüsse, die deine Karriere so richtig ins Rollen gebracht haben? Es gibt viele Leute, die sich das wünschen, die hart daran arbeiten und trotzdem sind es ja nicht alle, die am Ende auf großen Bühnen stehen können.
Ich habe mein Leben lang großes Urvertrauen von meiner Mutter mitbekommen. Und ich hatte auf der Waldorfschule einen Musiklehrer, der sehr unterstützend war und der mir immer das Gefühl gegeben hat, dass ich das irgendwie kann. Außerdem hab ich viel Wir sind Helden oder Mia. gehört, und dann immer gedacht, wenn die das können, achso, vielleicht kann ich das ja auch.
Aber das war nie ein blinder Optimismus, im Sinne von: Du wirst irgendwann ein Star. Sondern eher ein, Hey, das wird harte Arbeit, aber du kannst es schaffen.
Ich wollte immer diesen Weg gehen und hatte relativ schnell Menschen, die an mich geglaubt haben haben. Ich habe immer gedacht, wenn ich das einfach gut genug mache, dann werden die mich mich schon sehen.
Und ich habe mir um 11.11 Uhr immer was gewünscht, dass ich irgendwann auf der Sporthallen Bühne stehe, mit meiner Gitarre zum Beispiel. Dann ist es in Erfüllung gegangen. Ich muss es ja auch einfach machen. Ich habe es mir nicht ausgesucht. Und ich glaube, dass es so ein innerer Drive.
Wo bringt dich denn dein Drive musikalisch noch hin? Hast du noch Themen oder bestimmte Dinge, die du unbedingt noch ausprobieren willst?
Ich versuche mir musikalisch keine Grenzen zu setzen. Ich habe früher viel mit diesem cool/uncool Ding gehadert und gekämpft und habe auch da schnell gemerkt, dass diese Grenzen mich nerven und dass ich eigentlich gar nicht gibt, sondern dass sie immer aus einer bestimmten Richtung der Branche kommen. Wer bestimmt eigentlich, was cool ist und was man machen darf und was nicht?
Und ich versuche mich da nicht einschränken zu lassen und möglichst viel auszuprobieren und diese Genre Grenzen auch aufzubrechen. Ich glaube, alles kommt immer so, wie es kommen soll. Ich kann jetzt gar nicht sagen, was ich nächstes Jahr für Musik mache und deswegen probiere ich einfach aus und schaue, was kommt: was in meinem Leben passiert, was ich noch verarbeiten muss, welcher toxischen Boyfriend das nächste mal das Thema ist.
Gab es ein Festivalmoment der dir in Erinnerung geblieben ist, aus den letzten Jahren? Irgendwas witziges, trauriges, irgendwas, was dich richtig glücklich gemacht hat?
Für mich ist es als Künstlerin total krass, bei Festivals zu spielen, wo ich selber schon ganz oft war. Also so wie das Hurricane oder Dockville. Das war für mich dann so: Oh mein Gott, ich steh hier auf der Bühne wo ich selber immer im Publikum stand.
Einer meiner schönsten Festival Momente war tatsächlich als Zuschauerin beim A Summer's Tale bei Glenn Hansard, weil der so warm war mit allen und so viel Liebe gegeben hat, dass ich danach so voll war und dachte, das war das Schönste, was ich je erlebt habe.
Und das, finde ich, ist auch Festival: dieses emotionale, nicht nur abraven sondern etwas für sich fürs Leben mitnehmen.
Auch die Ansagen. Er hat so schöne Ansagen gemacht. Und dann ich rede manchmal so viel in Ansagen und denk mir: Eigentlich geht es doch um die Musik. Aber da habe ich gemerkt, nee, das, was man dazwischen sagt ist auch wichtig.
Ich dachte halt immer, man muss so mega krasse abdance Musik machen auf Festivals. Aber die schönsten Momente, die ich hatte, waren meistens die leisen. Deshalb versuche ich auch immer noch etwas mitzugeben, was man sich so einpacken kann. Was so ein kurzes Innehalten ist, zwischen dem Flunkyball-Turnier und zur-Hauptbühne-rennen.
Hast du noch eine Sache, die du gerne Festivals mitgeben würdest? Irgend einen Wunsch, 'ne Idee, 'ne Frage, an ein bestimmtes oder an alle Festivals?
Ich glaube, Dinge verändern sich und - das hat ja die Vergangenheit gezeigt - man kann Dinge auch beeinflussen. Ich wünsche mir einfach, dass es irgendwann Festivals gibt, wo sich jede*r wohlfühlt, wo jede*r sich sicher fühlt, wo Leute auf Bühnen schauen und denken, krass die ist ja so wie ich oder er oder die Person und sich repräsentiert fühlen und safe fühlen. Und ich glaube dass wir das erreichen können, wenn sich alle Festival Veranstalter*innen ihrer Verantwortung bewusst werden.
Das wünsche ich mir.