Magazin

Ein Erfahrungsbericht

Arbeiten im Getränke­ausschank auf Großfestivals


 
 

text Sören Grajek
fotos Sascha Krautz, Till Petersen

Auf Festivals am Ausschank zu arbeiten ist nichts für schwache Nerven. Ein Mix aus Verhaltenstherapie und Sprachkurs, welcher nicht nur die Frage aufwirft ob 4×7-5×2 jetzt wirklich 20 sind. Wir haben mal reingeschaut, in die Welt der Tresenkräfte – haltet euer Bier fest, es geht los.

 

Nicht alle Arbeitsbereiche auf einem Festival sind für den Besucher so offensichtlich wahrnehmbar wie der Getränkeausschank. Dass es sich dabei um einen der anstrengendsten Jobs während der Festivaltage handelt, wissen jedoch die Wenigsten. Oft ist das Barpersonal (die Bands außen vorgelassen) unter den Letzten die anreisen und den Ersten, die das Gelände wieder verlassen: Viele Veranstalter bestehen darauf, dass der Crew Campingplatz bereits nach Schichtende am letzten Spieltag wieder verlassen wird. Klingt stressig? Ist es.

Nach Anreise am Festivalvortag und der ersten Nacht im Zelt auf dem Crew Campingplatz, direkt neben dem Gelände, steht der erste Arbeitstag an: 8 Uhr morgens aufstehen, gemeinsam zur Dusche trotten und frühstücken á la Festival Deluxe: Toast mit Margarine und Nutella. Striktes Alkoholverbot bei der Arbeit, also auch kein Frühstücksbier. Danach Teambesprechung: Wer an diesem Wochenende mit wem zusammen an einem Stand arbeitet und ob es irgendwelche Besonderheiten gibt, wird hier besprochen. Mit etwas Glück ist das Gelände dann schon für die Gastro-Teams geöffnet und es werden schon mal die zugeteilten Bierstände gesucht, um sich seelisch und moralisch darauf einzustellen, wie groß der Besucheransturm wohl wird: Je weiter abseits und vom Infield weg, desto weniger Hektik am Stand.

Heutzutage hat jedes Festival seine eigenen Motivbecher, bestenfalls noch in mindestens drei verschiedenen Variationen und natürlich jedes Jahr andere.

Etwa zwei Stunden vor Beginn der Veranstaltung werden die Bierstände besetzt. Letzte Absprachen werden getroffen und die Leute auf die Positionen verteilt: Zapfer, AFG (immer dieses Festival-Fachchinesisch, steht für „Alkoholfreie Getränke“) und Verkauf. Die verschiedenen Becher werden inspiziert, die Preise nochmal durchgegangen und das Pfandsystem verinnerlicht. Heutzutage hat jedes Festival seine eigenen Motivbecher, bestenfalls noch in mindestens drei verschiedenen Variationen und natürlich jedes Jahr andere. Für die Besucher eine coole Sache, aber am Getränkestand bedeutet das auch, dass die Becher aus den Vorjahren, die viele Besucher mitbringen, nicht angenommen werden dürfen, da der externe Zulieferer der Becher diese nicht mehr zurücknimmt. Eine Auszahlung des Pfands wäre in diesem Fall also Kassenminus und das ist gar nicht gern gesehen. Selbiges gilt für die Becher von anderen Ständen. Nimmt der Cocktailstand für seine Becher eine andere Pfandsumme und die Becher werden irrtümlich doch am Bierstand angenommen, kommen schnell mehrere tausend Euro Verlust zusammen!

Die Anspannung im Team ist deutlich spürbar. Dadurch, dass in den Bierständen so viele Fässer wie möglich untergebracht werden, um mit der Belieferung durch die Runner so spät wie möglich anzufangen, ist die Bewegungsfreiheit kleiner als in jedem Billigflieger. Die Verkäufer teilen sich ihre Bereiche und Laufwege zu „ihrem“ Zapfer und AFG also genau auf, um sich so wenig wie möglich in die Quere zu kommen. Der Headliner soundcheckt; letzte Chance um nochmal auf’s Klo zu gehen, denn sobald der Einlass gestartet ist, wird es hektisch im Stand.

Die ersten Gäste besiedeln das Gelände, die ersten Biere werden bestellt. Noch geht es ruhig zu. Die ersten Bands spielen, es wird mit den einsamen Seelen am Bierstand über die eigenen Festivalerfahrungen geplauscht und Geschichten werden ausgetauscht. Schon jetzt werden die ersten Beschwerden über die Preise laut, aber die 7€ für ein Bier sind auch für das Gastro-Personal unangenehm. Während der erste Festivaltag voranschreitet, häufen sich zwar weiterhin die Beschwerden über die Preise, mit ihnen aber trotzdem auch die Bestellungen.

Wer schreit, kriegt zuletzt!

Spätestens ab der zweiten Band kommt die erste Beschwerde eines Gastes, der steif und fest behauptet, er hätte zu wenig Rückgeld erhalten. Nach zehn Minuten Diskussion sieht er ein, sich verrechnet zu haben und zieht von dannen. Eine Theke weiter, keine 3 Minuten später: Ein junger Mann pöbelt lautstark und vulgär, er wolle endlich sein Bier. „Wer schreit, kriegt zuletzt“, murmelt ein Mitarbeiter seinem Kollegen zu und beide grinsen. Ja, so läuft das hier, denn wer Pöbeleien und Beleidigungen zu ernst nimmt, wird die drei Tage Festival nicht überstehen.

Das Gelände füllt sich zusehends, die Zapfer schalten die Hähne nicht mehr aus, lassen das Bier durchlaufen und halten abwechselnd mit beiden Händen Becher unter den Strahl. Die Hände sind klebrig von übergeschwappten Getränken, der Magen knurrt und alles riecht nach Bier. Nicht der wohlig malzige Geruch, den man jetzt im Kopf haben mag, sondern ein klebrig, ekeliger Geruch der einen von Kopf bis Fuß einhüllt.

Neue Streiterei mit einem Gast: sein kaputter Becher wird nicht zurückgenommen. Wieder einmal ist das Gastro-Personal Sündenbock der Vorschriften, die es befolgen muss. Die Becher sind nur Leihgegenstand einer externen Firma und werden daher am Ende des Festivals von selbiger kontrolliert. Kaputte Becher bedeuten fehlende Becher, was sich negativ auf den Kassenstand auswirkt.

Fässer werden am Ende eines Tages ausgezählt, angebrochene werden gewogen und die verkaufte Menge mit dem Kassenstand abgeglichen.

Nachdem diese kleine Krise gelöst ist und der Gast beschwichtigt wurde, steht auch schon die nächste ins Haus: Das Bier, dass er bestellt hat, ist nicht voll genug. Problem anders, Ursache ähnlich: Wird das Bier zu voll, also über dem Maßstrich herausgegeben, bedeutet dies Schankminus, denn die Biermenge ist genau kalkuliert. Die vollen und leeren Fässer werden am Ende eines Tages ausgezählt, angebrochene werden gewogen und die verkaufte Menge mit dem Kassenstand abgeglichen. Rutscht ein Stand entweder ins Schank- oder noch schlimmer ins Kassenminus drohen wieder Probleme, daher ist man sehr vorsichtig was dieses Thema angeht.

(Kleiner Tipp aus dem Nähkästchen: Die Chancen sein Bier trotzdem aufgefüllt zu bekommen, steigen übrigens je freundlicher man nachfragt. Die meisten Leute an den Ständen sind seit frühmorgens auf den Beinen, haben außer Frühstück noch nichts gegessen und sind immer froh unter den ganzen grimmig dreinschauenden Gesichtern ein nettes zu sehen und dann auch eher bereit noch mal drauf zu zapfen.)

Die Konzerte der Headliner brechen an, der Alkoholpegel ist deutlich gestiegen und die Kommunikation am Stand wird in extremen Fällen nur noch per Handzeichen abgewickelt, denn das Gegröle, das fälschlicherweise gerade als Bestellung gedeutet wurde, war in Wirklichkeit nur ein Songtext der Band die gerade spielt. Wer war das nochmal? Bei einem Blick Richtung Bühne stellt eine Thekenkraft erschrocken fest, dass die Band die sie eigentlich erwartet hat zu sehen, gar nicht mehr spielt, sondern schon der Aufbau zur nächsten Band läuft.
Die Zeit vergeht wie im Flug, auch wenn die Anstrengung allen deutlich anzumerken ist. Trotzdem versuchen alle ein freundliches Gesicht aufzusetzen und sich die Erschöpfung nicht anmerken zu lassen.

Wie viele Becher hatte er nochmal am Anfang abgegeben?

Das Gewusel im Stand wird, je länger die Schicht dauert, immer öfter von ratlosen Blicken unterbrochen und nicht selten wird kurz vor dem Kassieren getuschelt. Der Grund ist simpel: Durch die dauerhafte physische und psychische Belastung nimmt die Rechenfähigkeit immer weiter ab. Ein Besucher gibt drei Becher ab und will fünf neue Bier haben. Als die Biere bei ihm ankommen, fällt ihm ein, dass er doch nur vier Biere haben will, sein Kumpel aber noch einen Becher als Pfand zurückgeben will und statt dem Bier doch lieber eine Cola möchte. Was erstmal recht simpel scheint, wird nach einem ganzen Tag am Bierstand zur großen Herausforderung. Dazu bezahlt besagter Besucher dann noch mit einem 50€ Schein, will aber 3€ Trinkgeld geben. Wie viele Becher hatte er nochmal am Anfang abgegeben? Ein elektronisches Kassensystem wäre jetzt der Hammer, denn leider sind die Becher alle schon in der Pfandkiste verschwunden. Ärgerlich, hoffentlich hat der Zapfer was gesehen und kann helfen. Eine zweite Meinung rettet den Kassenstand und zweifelshalber geht das Trinkgeld auch mal lieber zusätzlich in die Kasse, nicht, dass am Ende doch nur zwei Becher in der Pfandkiste gelandet sind und die Kasse nicht stimmt.


Nach Ende des Programms werden nach und nach die Getränkestände geschlossen. Die Besucher werden dazu angehalten, das Gelände zu verlassen, damit die dringend nötigen Aufräumarbeiten für den nächsten Tag starten können. Das bedeutet: die Umgebung des Standes zu säubern, Bierfässer auffüllen, Kasse wegbringen und auszählen lassen und sich danach zurück zum Crew Campingplatz begeben.

Endlich Abendessen: Der Einfachheit halber wird gegrillt und noch ein Feierabenddrink genossen. Bier sieht man nirgends, aber der Geruch hängt immer noch wie eine bleierne Wolke über dem Camp. Mit dem Ausziehen der Schuhe und dem Betreten des eigenen Zeltes haut die Meisten die Erschöpfung dann urplötzlich um. 14 Stunden am Tag Kopfrechen ist noch anstrengender als es klingt und auch Zapfen ist alles andere als angenehm, denn die Schultern sind diese Art von Bewegung nicht gewöhnt und bedanken sich mit einem saftigen Muskelkater am nächsten Tag. Alleine den ganzen Tag durchgehend zu stehen ist schon hart genug. Das kann jeder nachempfinden, der schon mal einen ganzen Festivaltag für den Headliner in der ersten Reihe gewartet hat.

Dann heißt es endlich schlafen gehen, um für den zweiten Tag fit zu sein.

Das selbe Spiel an den folgenden Tagen nochmal: Die gleichen Diskussionen, die gleichen Probleme, das gleiche Unverständnis. Trotzdem macht es Spaß, denn es gibt auch zahlreiche tolle Momente, in denen interessante Gespräche mit Gästen geführt werden, oder sich lustige Geschehnisse rund um den Bierstandereignen: Es ist ja immer noch Festival und die Erfahrung zeigt: Da wo betrunkene Menschen aufeinandertreffen, geschieht allerlei Wundersames.

Während an der einen Ecke des Standes eine Horde von 10 Männern versucht die hübsche Bedienung dazu zu bringen, dem einsamen 16 Jährigen Festivaljüngling ihre Handynummer zu geben, hängt an der anderen Ecke ein gut betankter Familienvater auf der Thekenkante und will partout nicht zurück zum Camping gehen und außerdem noch „Deiii Bieääää füa misch un di Junx“ die verzweifelt dabei sind ihn von der Theke weg Richtung Ausgang zu ziehen. „Alter, kumma die Bändschen! Der war 2014 auch da!“ tönt es aus der zweiten Reihe und das grässliche Line-Up oder die bescheuerten Nachbarn vom Camping gegenüber werden in den nächsten 10 Minuten gnadenlos analysiert, kommentiert und von allen Umstehenden auseinandergenommen.

Deiii Bieääää füa misch un di Junx

So ein Bierstand ist ein Universum für sich mit eigenen Regeln und Gesetzen. Eine wütende Schlacht um Gerechtigkeit, falsches Rückgeld und den begehrten letzten Motivbecher der für die Sammlung noch fehlt. Veranstalter, die die Wirtschaftlichkeit ihrer Events im Auge behalten müssen, Gastro-Betreiber, die gegen die nicht für Veranstaltungen ausgelegten Arbeitsgesetze und ihr eigenes finanzielles Überleben kämpfen. Thekenkräfte, die als letztes Glied der Kette oft das Unverständnis und die Missgunst der Besucher ernten und natürlich die Besucher selbst, die am Liebsten nur möglichst schnell günstiges Bier wollen. Sie alle geraten in einen Interessenkonflikt und allzu oft stehen sich dadurch frustrierte Besucher und frustrierte Thekenkräfte gegenüber.

Doch die Bedingungen werden besser und auch die Gesetze werden langsam angepasst. Cashless Payment setzt sich immer weiter durch, erleichtert das Rechnen und räumt Missverständnisse und Rückgeld-Diskussionen von vornherein aus dem Weg. Doch bis alle Probleme aus der Welt sind, wird es noch eine Weile dauern. Bis dahin habt etwas Mitleid und Verständnis mit den Jungs und Mädels am Bierstand und seid nett zu ihnen, sie werden es euch danken.