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Geschmacksfragen beim Orange Blossom Special

Ein Interview über Booking und Bauchgefühl


 
 

text Johannes Jacobi
redaktion Tina Huynh-Le

Was haben eine verlorene Brille, Casper und ein Garten für 2.800 Menschen miteinander zu tun? Seit 1997 zieht das Orange Blossom Special Jahr für Jahr einen angenehmen Haufen Musikbegeisterte in den Garten der hauseigenen Plattenfirma Glitterhouse. Stetig in drei Augenblicken ausverkauft und neben einem immer soliden Line-Up auch noch für ein paar wirre Überraschungen gut. Wir wollten wissen, wie das so läuft mit dem Booking beim OBS und Rembert Stiewe hat uns aufgeklärt.

 

Wie würdest du das Rezept für euer Line-Up in einem Satz zusammenfassen? 
Erfahrung, Bauchgefühl, Entdeckergeist, eigene Vorlieben und missionarischer Eifer leiten mich beim Zusammenstellen des Programms, das idealer Weise ein Spektrum aus Indie, Singer-Songwriter, Rock, Post-Punk, gerne etwas vintage Soul und musikalischen Nebentälern abdeckt.

Was schätzt du: Wie viele Bandbewerbungen bekommt ihr jedes Jahr? Hörst du alle durch und sind die für euer Line-Up überhaupt relevant?
Jedes Jahr bekommen wir etwa 600 Bewerbungen. Die meisten höre ich durch, allerdings nicht alle. Wenn es z.B. um Tribute-Bands, Irish Folk oder Metal geht, wäre es für mich bzw. das OBS Zeitverschwendung.

Drei Songs, die heute in deiner Playlist laufen?
 Steiner & Madlaina: „Alles ist möglich“
 Die Nerven: „Niemals“
 Dawn Brothers: „Vampire“

Ein Song, der in diesem Jahr bisher besonders häufig bei dir gelaufen ist?
Jade Bird: „Cathedral“

Wie gehst du mit der Erwartungshaltung eurer Gäste um? Es ist ja unmöglich, es allen recht zu machen, aber trifft dich Gemecker und Kritik persönlich und hat es Einfluss auf euer Booking?
Ich möchte keinen Besucher enttäuschen, andererseits würde das Line-Up beliebig, wenn ich auf alle Wünsche einginge. Kritik ist mir willkommen, wenn sie nicht aus einem geschmäcklerischen Absolutheitsanspruch entsteht. Man glaubt ja nicht, wie engstirnig und wenig offen manche Musikfans sein können. Ich bin leider persönlich zu empfindlich, als dass mir Gemecker nichts ausmachen würde – manchmal verhagelt mir ein Blick in das Gästebuch unserer Webseite daher die Laune. Allerdings tummelt sich dort offensichtlich nur ein kleiner Teil der OBS-Fans.

Gibt es so etwas wie deinen größten persönlichen Erfolg beim Booking der letzten Jahre?
Persönlich sehr gefreut habe ich mich, als beim OBS 19 endlich Sivert HØyem auftrat, nachdem ich zuvor vergeblich einige Jahre versucht hatte, ihn zu buchen. Und dass Gisbert zu Knyphausen mit der Kid Kopphausen Band als Überraschungsact geklappt hat. Casper oder AnnenMayKantereit zu bekommen, die eigentlich in einer viel zu hohen Bekanntheitsliga spielen, macht natürlich auch so richtig Spaß.

Wie viel Prozent eures Line-Ups für dieses Jahr sind schon bestätigt?
Das Line-Up ist komplett.

Kannst du schon mehr darüber erzählen? Was wird ganz besonders gut, worüber freust du dich bisher am meisten und was kommt noch?
Schwer zu sagen, ich freue mich auf jede einzelne Band – sonst hätte ich sie nicht gebucht. Von Steiner & Madlaina zu D/troit, von Midnight Choir zu Casper, von EF zu Scott Matthew – ich habe richtig Bock. Und besonders freue ich mich auf den Surprise Act.

Kannst du etwas darüber erzählen, wie es zu Casper kam? Wie passt der rein bei euch und wie kam das überhaupt ins Gespräch?
Die Idee kam auf, als ich mit Jan Korbach, Gitarrist bei Casper und Glitterhouse-Arbeitskollege, beim Casper-Konzert in Münster backstage war. Wir waren ziemlich besoffen, so besoffen sogar, dass ich auf dem Weg zum etwa 100 Meter entfernten Hotel mehrfach stürzte und dabei meine Brille verlor, ohne es zu merken. In zehn Jahren als Brillenträger ist mir das das erste Mal passiert. Muss also ein guter Abend gewesen sein.
Aus einem entsprechend euphorisiert vorgetragenen „Du musst unbedingt mal beim OBS spielen“ und Bennys spontaner Antwort „Ja, das machen wir“ hat es sich dann entwickelt. Ich bin mir bewusst, dass einige OBS-Besucher mit Casper nichts anfangen können – die anderen werden sich aber einen Ast freuen. Das Gros des OBS-Publikums ist offen und durchaus empfänglich für außerhalb der eigenen Routine gebuchte Acts.

Drei Acts aus euer Festivalvergangenheit, an die du dich besonders gern erinnerst?
 Gisbert zu Knyphause und die Kid Kopphausen Band, Überraschungsact 2015. Es war einfach wundervoll, ich habe die Hälfte ihres Auftrittes lang geflennt, so mitgenommen hat es mich.
 Chris & Carla holen 1999 Tilman Rossmy auf die Bühne und singen gemeinsam mit wirklich dem gesamten Publikum dessen „Loswerden“
 Lazy Horse, eine nur für das OBS 2001 zusammengestellte Glitterhouse All-Star-Band bestehend aus Go To Blazes, Chris & Carla, Hazeldine, Neal Casal und Steve Wynn. Gab es nur für diesen einen wunderbaren Auftritt in strömendem Regen.

Welches war das erste Festival, welches du selbst besucht hast und was ist dir davon besonders in Erinnerung geblieben?
Schüttorf Open Air 1982 mit Stray Cats, Simple Minds, Törner Stier Crew und einem unsäglich schlechten Auftritt von Frank Zappa. Es war unglaublich heiß und fast alle Besucher nutzten das angrenzende, sehr langsam fließende Flüsschen Vechte zur Abkühlung. Zum Pinkeln allerdings auch.

Drei Festivals, die dich inspirieren und deren Line-Ups wir uns unbedingt anschauen sollten?
 Maifeld Derby
 Haldern Pop
 Primavera Sound

Drei Festivals, die du in der Zukunft noch besuchen möchtest? 
 Primavera Sound
 Iceland Airwaves
 Sziget

Mit allem Geld der Welt, was wäre dein Traum-Act für euer Festival?
Nick Cave

Auf welchen Wegen findest du neue Musik?
Playlists, OBS-Bewerbungen, Showcase-Festivals (Eurosonic, Reeperbahn-Festival), Youtube.

Zum Abschluss verrate uns doch noch bitte deinen Geheimtipp für 2018. 
D/troit – fantastischer, mitreißend groovender Soul aus Kopenhagen.