Die Uckermark. Bekannt für ihre Seen, Stille und nicht viel mehr. Und dann kommen der Betreiber der Labels Innervisions und Bigamo Musik und ein australischer Musiker und machen genau diesen Ort ein Wochenende lang zum Zentrum für Musik und Kunst.
text Nina Martach
redaktion Isabel Roudsarabi
fotos Nina Martach, Danilo Rößger
Das ist jetzt fast fünf Jahre her. Seitdem ist die Uckermark auch bekannt für das Sacred Ground Festival. Bei dem Labelbetreiber geht’s um Frank Wiedemann, der australischer Musiker ist Ry X. Zusammen kuratieren sie das Festival, das jedes Jahr ca. 1.000 Besucher*innen in den beschaulichen Ort Trampe zieht. Wir haben uns auch dieses Jahr wieder einen Kurzurlaub gegönnt und geschaut, was zwischen Gartenduschen und ewig langen Feldwegen so passiert.
Trampe liegt etwa 130 Kilometer außerhalb von Berlin in Brüssow in der Uckermark. Das 36 Häuser-Dorf hat nicht viel, was den durchschnittlichen Berliner aus seinem Kiez holen würde. Außer eben diese Veranstaltung.
Also haben auch wir unser zweites Zuhause, das Wurfzelt, geschnürt und uns auf den Weg nach Trampe gemacht. Schnell noch ein Sixpack organisiert und ab in den Regio, wo wir auf vollgesoffene Junggesellenabschiede und weitere Festivalbesuchende treffen, die aber nicht wirklich wirken, als würden sie das gleiche Ziel haben wie wir. Keine 20 Minuten und eine emotionale, gefühls- und jägermeistergeladene Ansprache eines zukünftigen Bräutigams später, teilen wir uns mit dem halben Wagon ominöse, selbstgemixte Getränke und diskutieren über aufgelöste Drogen in ominösen selbstgemixten Getränken. Noch etwas später sind wir eigentlich ganz froh, dass sich unsere Mitfahrer*innen am nächsten Bahnhof von uns verabschieden und auch, dass in eben diesen kürzlich konsumierten ominösen selbstgemixten Getränken keine Drogen ausfindig zu machen waren. Als uns dann auch noch der Junggesellenabschied verlässt, sind wir etwas erleichtert, dass uns ein sehr viel entspannteres Wochenende im besinnlichen Brüssow erwarten wird.
Vom Bahnhof in Prenzlau werden die Festivalbesucher*innen mit Shuttlebussen bis vor eine der 36 Haustüren in Trampe gefahren. Aus dem letzten Jahr haben wir zwei Dinge gelernt: Diesen Service sollte man dringend nutzen und man sollte niemals einer Gruppe 17-Jähriger folgen, die sich in einen Nicht-Shuttlebus setzen und an irgendeinem Halt aussteigen, weil “es von hier aus eh nicht mehr weit ist”. Also rein in den Shuttlebus und eine Runde durch die Uckermark bis vor den Eingang des Sacred Ground Festivals. Von unserem Besuch im Jahr zuvor wissen wir auch: Der Weg vom Festivalgelände zum Zeltplatz ist lang. Endlos eigentlich. Dementsprechend sagen wir auch nicht nein, als ein Wohnmobilfahrer erst an uns vorbeirauscht, dann aber anhält, um uns mit all unserem Zeug mit zum Zeltplatz zu nehmen.
Angekommen gibt’s erstmal ein bis fünf Drinks und Spekulationen um den Timetable, der auch dieses Jahr unbekannt ist. “Als ob HVOB direkt am ersten Abend spielen”, denken wir uns. Guten Windbedingungen sei dank, hören wir nur kurze Zeit später den ersten HVOB-Track durch die Stille der Uckermark zu uns rüber wehen. Der sechste Drink ist dann halt To Go. Schadet eh nicht, wenn man über den Weg nachdenkt, der uns bevorsteht.
Auf dem Sacred Ground werden Line-Up und Timetable-System neu gedacht.
Das Line-Up ist beschaulich: nicht einmal 20 Acts sind an diesem Wochenende eingeladen. Diese surfen nicht unbedingt auf der aktuellen Trendwelle, sondern machen einfach nur richtig gute Musik. Einige werden von Frank Wiedemann und Ry X persönlich eingeladen, andere bewerben sich ganz klassisch, um dabei zu sein. Auf der Bühne stehen dieses Wochenende neben HVOB und den beiden Kuratoren und anderem Axel Boman, DJ Tennis, Jimi Jules, Perel, The Teskey Brothers und Tora. Einen festen Timetable gibt es nicht. Das hat zwei Gründe: Kein Act soll aufgrund von Bekanntheit oder Nicht-Bekanntheit bevor- oder benachteiligt werden. Vor allem aber soll hiermit Raum geschaffen werden, um spontane, unerwartete Kooperationen auf die Bühne zu bringen.
Auch so bietet das Festival den Künstler*innen ein ordentliches Festivalerlebnis: Einen Backstage-Bereich sucht man hier vergeblich. So begegnen sich Künstler*innen und Festivalgäste auf Augenhöhe. Vor allem Ry X sehen wir an diesem Wochenende oft in seinem Signature-Style mit großem Hut, weiten Stoffhosen und barfuß über das Gelände laufen, immer im Gespräch mit den Festivalgästen, Anwohner*innen oder den Musizierenden.
Festivals bringen auch Schwierigkeiten mit sich. Das sind zum Beispiel lange Schlangen am Dixiklo, der ein oder andere Trichter zu viel, oder die Überschneidung der Slots von Bands, die man gerne sehen möchte. Wer kennt es nicht? Stundenlange Diskussionen, endlose Kompromissfindungen bis hin zu Tränen, Trennungen und vorzeitigen Abreisen. Ok, vielleicht nicht ganz so krass. Den Struggle hat aber bestimmt trotzdem jede*r schonmal erlebt und deshalb gibt es auf dem Sacred Ground genau zwei Bühnen. Auf der Hauptbühne spielen die Acts bis in die Nacht, erst danach öffnet die zweite Bühne im Zirkuszelt. Hier feiern dann Festivalbesuchende mit Musiker*innen und DJ*anes bis zum nächsten Morgen.
Wir haben uns nach ein paar Stunden Tanzen und Wodka Soda dann für den Rückweg zum Zeltplatz entschieden. Nach einem ziemlich langen Powernap und dem darauf folgenden obligatorischen Check, wo wir hier gerade aufwachen, welches Jahrzehnt wir haben und wie spät es ist, müssen wir feststellen, dass man auf diesem Zeltplatz ungewöhnlich lange schläft.
Weil hier nämlich niemand die ganze Nacht lang den Sexy Sax Man über den Platz ballert oder tiefgründige Gespräche neben dem Zelt führt. Hier ist es ruhig.
Irgendwie komisch, aber irgendwie auch ziemlich schön. Nachdem wir uns bezüglich Ort, Jahrzehnt und Uhrzeit Orientierung verschafft haben, treten wir den Weg zur nächsten Wasserstelle an. Die sich, genau wie die nächste Dusche leider nicht in unmittelbarer Nähe des Zeltes, sondern am Festivalgelände befindet.
Glücklicherweise wohnen in Trampe ziemlich entspannte Menschen, die den Festivalgästen nicht nur ihren Gartenschlauch für frisches Wasser zur Verfügung stellen, sondern auch ihre unnormal gepflegten Gärten zur öffentlichen Dusche umbauen. Mit Spiegel, Duschgel und allem, was der leicht verschwitzte Festivalgast so braucht. Auf dem Weg zur nächsten Gartendusche, die Skyline von Trampe vor uns, skippen wir das morgendliche Yoga, das von einem der Anwohner angeboten wird und sind froh, als wir zuerst den Garten mit den bereitgestellten Duschen und dann keine endlos lange Warteschlange vorfinden.
Nachdem Kopf und Körper wieder klarkommen und der Wasserhaushalt etwas aufgefüllt ist, starten wir den Tag mit den Dorfältesten in der Scheune von Trampe. Ob das wirklich die Dorfältesten sind wissen wir nicht und die Scheune dient an dem Wochenende auch eher anderen Zwecken (in unserem Fall dem Konsum koffeinhaltiger Getränke). Fakt ist aber: die Anwohner*innen von Trampe haben Bock auf dieses Festival, treffen sich mit den Besucher*innen zum Schnacken bei Kaffee und Kuchen und freuen sich über die drei Tage Trubel im Jahr, bevor es wieder ruhig wird in ihrem beschaulichen Dorf fernab von… allem eigentlich.
An einem ganz besonderen Ort, dem Zauberwald, führt an diesem Wochenende ebenfalls kein Weg vorbei. Das kleine Waldstück befindet sich mitten auf dem Festivalgelände und bietet mit Sofas, Schaukeln, Tipis und jeder Menge Kissen den perfekten Platz um sich vor der Sonne zu retten oder zwischendurch einfach ein bisschen zu entspannen. Wie auf dem restlichen Gelände gibt es auch hier überall kleine Kunstinstallationen zu entdecken und spätestens wenn es dunkel ist und die Bäume in bunten Lichtern erstrahlen, weiß man auch, woher der Zauberwald seinen Namen hat.
Auf den Auftritt von Ry X mussten wir dieses Mal übrigens bis Sonntag Nachmittag warten. Ziemlich sympathisch, wenn man bedenkt, dass viele Besucher*innen schon Sonntagmorgens den Heimweg antreten und bei ca. 1.000 Leuten dann nicht mehr viel übrig bleibt um den Veranstalter zu feiern. Hier wird einmal mehr klar, dass das Sacred Ground keine Plattform für die Eigenvermarktung der beiden Kuratoren ist, sondern einen Raum für Unbekanntes, Neues und vor allem um Symbiosen schaffen will.
Das Sacred Ground ist wie ein Wunder.
Nie zuvor habe ich es nach einem Festival geschafft, mich erholter und gesünder zu fühlen als vorher. Das könnte an der Umgebung liegen, an den entspannten Festivalgästen, dem nicht vorhandenen Timetable, der frischen Luft oder den örtlichen Landwirten, die mit Kutschen zum Zeltplatz kommen und ihr selbst angebautes Gemüse für einen schmalen Taler an die Gäste verkaufen. Das könnte aber auch einfach Einbildung sein. Mir gefällt dieser Gedanke allerdings und ich halte daran fest, vergesse den soliden Schädel, der mich jeden Morgen freundlich im Zelt begrüßt hat und setze mich nächstes Jahr wieder in den Regio, der mich zum Sacred Ground Festival bringt.