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Entscheidend sind nicht bunte Bilder


Carsten Brosda: Kulturpolitiker zwischen Pop und Parteibuch

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Manfred Tari

Isabel Roudsarabi

Bertold Fabricius

4 Minuten

In seiner Eigenschaft als Kultursenator von Hamburg ist Carsten Brosda nicht nur formell ein Kulturpolitiker ersten Ranges. In der Riege vergleichbarer Größen der hiesigen Kulturpolitik ist Brosda eine Ausnahmeerscheinung.

Bekannt für seine soliden Repertoirekenntnisse zeitgenössischer popmusikalischer Erzeugnisse sowie die Textsicherheit beim Zitieren einschlägiger Songtexte, gilt er zudem als weitestgehend frei von Berührungsängsten im Umgang mit dem kulturpolitisch immer noch niederen Stand der Popkultur.

Dabei kommt Brosda samt Doktortitel auf dem ersten Blick daher wie ein souveräner Bildungsbürger: Gebürtig aus Gelsenkirchen, studierte er Journalismus und Politikwissenschaft an der Uni Dortmund zu Zeiten als die Stadt sich noch als die „Herzkammer der SPD“ wähnte, verfasste seine Dissertation zum Thema „Diskursiver Journalismus“, verdingte sich als Redenschreiber und Redakteur in SPD-Gefilden, um dann 2013 nach verschiedenen Stationen in Hamburg zu landen. Seit 2016 wirkt er dort als Senator für Kultur und Medien, 2020 wurde er zum Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins, dem ehrwürdigen Dachverband der deutschen Theater und Orchester gewählt. Sein neuestes Buch trägt den Titel „Mehr Zuversicht wagen - Wie wir von einer sozialen und demokratischen Zukunft erzählen können“.

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"...bisschen mehr Bruce Springsteen wagen...“
Das Prädikat „kulturpolitische Ausnahmeerscheinung“ steht Brosda alleine deswegen zu, weil er seit Jahren als Stargast die Verleihung der „VUT Indie Awards“ mit zielgruppengerechten Wortwitz anreichert. Wie aber beurteilt ein ausgewiesener Kulturpolitiker wie Brosda dennoch den Musikbetrieb, die Gierflation bei Ticketpreisen oder jenes Miteinander von Pop und Politik im öffentlichen Leben?
infield.live:
Laut NDR.de wünschen sie sich ein „bisschen mehr Bruce Springsteen wagen“ in der Politik. Springsteen und seine Songs mit dem gewissen Feingefühl fürs Seelenleben der kleinen Leute, verkaufte ehedem seine Musikrechte für 500 Millionen Dollar und nimmt laut Medienberichten neuerdings auch schon mal 5.000 Dollar für ein Konzertticket. Ein Grund und Anlass, ihre Vorliebe für Bruce Springsteen zu überdenken?
Carsten Brosda:
In meinem Buch beschäftige ich mich mit politisch relevanten Geschichten in der Popkultur – und da sind Springsteens Songs herausragende Quellen. Unabhängig davon, wie viel Geld er damit verdient. Er selber hat schon vor mehr als 30 Jahren selbstironisch vom „rich man in a poor man’s shirt“ gesungen.

Die These, dass nur ein armer Künstler ein authentischer Künstler sein kann, fand ich im Übrigen nie plausibel. Etwas anderes sind manche Auswüchse der so genannten ‚dynamic pricing-Modelle‘, wo dann durch die Veranstalter einige Ticketkategorien in absurde Höhen schnellen.

Sympathisch wäre mir das allenfalls, wenn das genutzt würde, im Gegenzug andere, preiswerte Tickets entsprechend quer zu finanzieren. Die Diskussionen zu Springsteens Ticketpreisen vor allem in den USA zeigen, wie sensibel der Markt hier reagiert, und dass sich selbst treueste Fans so etwas nicht gefallen lassen. Da sind alle gut beraten, sehr genau zu kalkulieren und die Fans auch nicht zu überfordern. Selbst wenn die Kosten gerade an vielen Stellen durch die Decke gehen, gibt es genug Beispiele die zeigen, dass faire Preise möglich bleiben. Und auch bei Springsteens letzten Konzerten in Deutschland lag das Gros der Tickets preislich ja in einem vernünftigen Rahmen.

Spitzenpreise für Konzertkarten sowie ein verpatzter Vorverkauf für die „The Eras“-Tour von Taylor Swift durch den Konzertkonzern Live Nation/ Ticketmaster führten Anfang des Jahres zu einer Anhörung im US-Senat. Sogar ein Untersuchungsausschuss wurde angesetzt, der die Geschäftspraktiken und -Modelle dieses Unternehmens hinterfragt. Deutlich gestiegene Ticketpreise sind auch hierzulande ein gesellschaftliches Thema, nicht aber in der Politik.

Was sagt das über die politische Wahrnehmung von Popkultur in den USA im Vergleich zu Deutschland aus?

Carsten Brosda: Naja, zum einen ist das Problem in den USA deutlich größer. Und zum anderen gibt es die Debatte in Deutschland natürlich auch. So setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion kritisch mit dem Ticketzweitmarkt [Anm. d. Red: „Ticket-Abzocke beenden“] auseinander, also dem Wiederverkauf von Tickets zu teils horrenden Preisen. In Hamburg warnen wir zum Beispiel bei der Elbphilharmonie schon lange vor diesen Geschäftspraktiken, die zu deutlich überhöhten Preisen führen und den Kundinnen und Kunden keine ausreichenden Rechte einräumen.

Um daran strukturell etwas zu ändern braucht es in der Tat Reglungen auf Bundes-, wenn nicht gar EU-Ebene. Da, wo wir selber agieren, also bei den Tickets öffentlicher Kultur- und Konzertveranstalter, achten wir selbstverständlich darauf, dass ein preiswerter Zugang möglich ist.

Das Musikgeschäft hat sich bedingt durch die Digitalisierung und disruptive Geschäftsmodelle sehr verändert. Ähnlich wie die Tech-Branche entspricht auch die Musikwirtschaft immer mehr der sogenannten Plattform-Ökonomie. Nur noch wenige Konzerne dominieren die relevanten Marktsegmente. 

Ist es nicht an der Zeit, dass der Gesetzgeber politisch eingreift, um die Ungleichheiten zwischen den beteiligten Marktteilnehmenden im Musikgeschäft regulierend zu korrigieren?
Carsten Brosda: Die Politik beschäftigt sich ja bereits mit den Ungleichheiten zwischen verschiedenen Akteuren der Branche. Und das nicht erst seit gestern. Auch die langjährige Value Gap-Debatte im Kontext der Urheberrechtsreform und der Plattform-Regulierung waren dafür Beispiele. Aber der Grat zwischen den unterschiedlichen jeweils berechtigten Interessen und zwischen den Handlungsmöglichkeiten des Staates in einem zunächst grundsätzlich freien Markt ist schmal.

Deshalb ist es klug, jetzt mit Blick auf die Streaming-Geschäftsmodelle zunächst Expertise aufzubauen, wie es der Bund mit entsprechenden Untersuchungen macht, um dann auch gegebenenfalls wirksame und nicht bloß symbolische Entscheidungen treffen zu können.

Ganz generell würde ich mir mehr Mut zum Ausprobieren bei den Streaming-Modellen wünschen. Mir scheint da der Weisheit letzter Schluss noch nicht gefunden zu sein. Es braucht meines Erachtens Modelle, die für alle plausibel sind, also auch für Musikschaffende und ihre Fans. Dass es daran fortgesetzt Zweifel gibt, kann der Gesetzgeber nicht mit markigen Entscheidungen beseitigen, sondern ist zunächst eine Frage der konkreten Vertragsbedingungen. Erst wenn das strukturell schief geht, kann der Staat gegebenenfalls eingreifen.

Sie sind Vorsitzender des Kulturforums der SPD. Ein Blick auf die Übersichtsseite des Vorstands zeigt, dass der Anteil von jungen Menschen in diesem Gremium nicht sehr hoch ist. Ein Blick auf die Themenseite der Jusos offenbart zudem, dass „Kultur“ als Thema nicht aufgeführt wird. Willy Brandt erhielt seinerzeit Zuspruch von Schriftstellern wie Grass, Walser und Böll, Gerhardt Schröder von Lindenberg und den Scorpions.

Woran liegt es ihrer Meinung nach, dass heutzutage Akteure aus der Kultur mit jenen aus der Politik eher fremdeln oder täuscht dieser Eindruck?
Carsten Brosda: Ich glaube der Eindruck täuscht. Ich kann zumindest für meinen Teil sagen, dass ich sehr regelmäßig mit diversen Akteuren aus der Kultur sehr engen Kontakt habe und diverse von denen wurden sogar schon im Kanzleramt gesehen.

Ich glaube, dass das zum Glück viel selbstverständlicher geworden ist und daher gar nicht unbedingt immer an die große Glocke gehängt werden muss. Entscheidend sind schließlich nicht bunte gemeinsame Bilder, sondern ein ernster und grundsätzlicher Austausch. Und der findet statt.

Popkultur ist ein kulturelles Merkmal westlicher Demokratien. Die Wechselwirkung zwischen Pop und Politik erlebte aber schon mal bessere Zeiten, zumindest dann, wenn man die gesellschaftliche und meinungsbildende Relevanz von Veranstaltungen wie Live Aid oder Free Nelson Mandela nicht gänzlich bezweifelt. Die Gründe der Flucht der russischen Band Pussy Riot ins westliche Exil dürften darüber hinaus selbsterklärend sein.

Dennoch nehmen gerade in jüngeren Altersgruppen - der eigentlichen Kernzielgruppe für Popmusik - die politischen Präferenzen für demokratiefeindliche Parteien zu. Im Gegenzug gibt sich das Gros der Musikmachenden in der Popmusik oftmals unpolitisch. Bereitet ihnen dieser Umstand mit Blick auf die kommenden Wahlen in Europa und den USA im nächsten Jahr Sorgen?
Carsten Brosda: Auch hier weiß ich nicht, ob ich die Analyse so teilen würde. Natürlich hängt für eine Künstlerin oder einen Künstler bisweilen viel daran, wenn sie oder er sich politisch äußern. Das ist in einer Doku über Taylor Swift einmal sehr schön zum Ausdruck gekommen, als sie sich gegen den Widerstand ihres Vaters und ihres Managements dazu durchringt, gegen die politischen Positionen einer republikanischen Senatskandidatin öffentlich Stellung zu beziehen. Aber sie hat es gemacht. Und so etwas passiert ja auch hier bei uns. Zum Beispiel als Kraftklub in Chemnitz „Wir sind mehr“ gegen rechte Gewalt organisiert haben oder wenn die Toten Hosen im Berliner Ensemble mit Igor Levit klar gegen Antisemitismus Stellung beziehen. Ich könnte viele weitere und weithin beachtete Beispiele nennen.

Nicht alle nehmen in Konzerten Stellung, aber viele machen eine ganze Menge konkret im Alltag und setzen sich für eine bunte und friedliche Gesellschaft ein. Natürlich gibt es auch die anderen, die ich eher kritisch sehen würde, aber die gab es früher auf jeden Fall auch.