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„Die gucken schon böse im Präsidium“

Eilantrag zur Kulturpolitik abgelehnt


Die 47. Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/ Die Grünen hat getagt und bescherte den Teilnehmenden eine Veranstaltung mit viel Emotionen und sogar Euphorie. Eine Nachbetrachtung mit einem Stimmungsbild darüber, wie und warum nicht nur ein Dringlichkeitsantrag zur Situation der Kultur- und Kreativschaffenden in dieser Partei auf der Strecke blieb.

text Manfred Tari
redaktion Isabel Roudsarabi
foto Till Petersen

lesezeit 4 Minuten

Die Verabschiedung von Annalena Baerbock und Robert Habeck als Parteivorsitzende von Bündnis90/Die Grünen im Berliner Velodrom geriet gefühlvoll. Neben einer Vielzahl von Reden über Vergangenheit und Zukunft wurden aber auch einige Anträge verhandelt.
Nicht gereicht hat es dabei für einen kurzfristig eingereichten Antrag unter der Überschrift „Zusammen zur Rettung unserer Kultur“ von Rike van Kleef (Audiolith, faemm) vom Kreisverband der Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg.

Darin heißt es unter anderem, dass sich viele „Kulturschaffende, inner- und außerparteilich“, im Stich gelassen fühlen und sukzessive ihren Glauben an Politik verloren haben.

Die Grünen bemühten jedoch auf ihrer hybriden Tagung anderweitige Referenzen zur Popkultur. Allen voran Claudia Roth, die neue Staatsministerin für Kultur und Medien im Kanzleramt der Ampelregierung. Sie stattete ihre emotionale Lobeshymne zum Abschied ihrer Parteikollegin Annalena Baerbock aus dem Amt der Parteivorsitzenden gleich mit neun popkulturellen Vergleichen aus - von John Lennon bis Rio Reiser.

Dem Antrag von Rike van Kleef für eine politische Debatte über die dringliche Situation in der sich auch die weitestgehend freiwirtschaftliche Popkultur befindet, mochte die Antragskommission der Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) allerdings nicht zustimmen. Eine Entscheidung, die darüber hinaus auf sieben weitere Dringlichkeitsanträge zutraf (etwa die „Ausreise und Aufnahme von Hilfskräften und besonders gefährdeten Gruppen aus Afghanistan unterstützen“) und welche anschließend im digitalen Abstimmungsverfahren durch die Delegierten bestätigt wurde. Vorweg erhielt die Antragstellerin live zugeschaltet immerhin noch eine Gelegenheit darzulegen, warum und weshalb die gegenwärtige Situation für die Kultur- und Kreativschaffenden derzeit so prekär sei. Silke Gebel vom Kreisverband Berlin-Mitte begründete in ihrer Funktion als Antragskommissarin die Ablehnung gegenüber van Kleef unter anderem aber mit dem Hinweis: 

„auch das ist ein mega-dringendes Anliegen, aber das ist seit März '21 so.“  

Nun verhält es sich allerdings so, dass die Kultur und Kreativschaffenden bereits seit dem 22. März 2020, dem Stichtag zur Einführung des ersten Lockdowns, schwerwiegende Einschränkungen ihres kulturellen Schaffens und Wirkens hinnehmen müssen. Hinzu kommt, dass ungeachtet der damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die oft angeführte Unterscheidung zwischen "Systemrelevant" und "Nicht-Systemrelevant" nicht erst seit kurzem mit mentalen Nebenwirkungen für die Betroffenen einhergeht. 

Apropos Nebenwirkungen.

Ausgerechnet das Fußvolk der zahlreichen Soloselbständigen dieser Branche konnte in diesem Zusammenhang darüber hinaus seitdem konkret erfahren, was es mit diesem Hartz IV auf sich hat. Ein Patentrezept zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit aus der Zeit der rot-grünen Koalition (1998-2005), zu dem den Soloselbständigen im Zuge der Pandemie immerhin der "vereinfachte Zugang" gewährt wurde.

Neue Parteispitze - alte Probleme

Just nach der Bewerbungsrede des neu gewählten Vorsitzenden Omid Nouripour erhielt das Anliegen von van Kleef eine zweite Chance auf Gehör. Im Rahmen einer schriftlichen Nachfrage, vorgetragen von Nina Stahr fürs Präsidium der BDK, lautete diese: „Lieber Omid, leider haben wir den Kulturantrag nicht verhandeln können. Trotzdem ist die Lage der Kultur- und Kreativschaffenden, sowie der Veranstalterinnen höchst dringend. Was planst du hier konkret, damit Kultur- und Kreativschaffende, wie auch die Veranstaltungswirtschaft schnell abgesichert wird und was möchtest du tun, um verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen?“

Dazu antwortete Nouripour mit Blick auf nur drei Minuten Redezeit: „Ich habe viele, viele Freunde, die auch in der Branche arbeiten. Ich kann euch zusichern, dass es sehr viele Dialoge gibt und gab, nicht nur von meiner Seite, nicht nur in meinem Wahlkreis, auch auf Bundesebene. [...] Ich will hier in der Zeit nicht die großen Patente auspacken, die gucken schon böse im Präsidium. Ich sage nur verkürzt, es ist sinnvoll, dass wir nicht bilateral sprechen.

Es ist sinnvoll, dass die Kulturschaffenden, die Eventleute, vis-à-vis, dass wir im Dreieck zusammenkommen, am Ende aufeinander angewiesen sind.

 Auf Lösungen angewiesen sind, die es längst hätte geben müssen, die es in der alten Regierung nicht gegeben hat.“

Ganz offiziell gibt es bislang allerdings noch keine verbindlichen Absichtserklärungen seitens der neuen Bundesregierung, wie es denn jetzt mit den Corona-Hilfen für die Kultur- und Kreativschaffenden weitergehen soll. Aber die Hoffnung hat Zukunft. Zumindest dann, wenn die Forderung der Bundestagsabgeordneten Katrin Göring-Eckhard nach einer Parlamentspoetin als ein erstes politisches Signal im Sinne des gescheiterten Dringlichkeitsantrages „Zusammen zur Rettung unserer Kultur“ verstanden wird.