Ursprünglich sollten hier Singer/Songwriter mit Gitarre und Mikro stehen, mal 'ne Lesung oder eine Filmvorführung stattfinden. Alles ruhig und entspannt, während die Wellen ganz genügsam ans Floß klatschen. Mittlerweile quetschen sich ganze Bands, wie Annenmaykantereit und Meute auf die kleine Floßbühne und bringen sie Jahr für Jahr an ihre Grenzen. Wie es so weit kam und wie sich die Bühne deswegen immer weiter entwickelt, erklären mir Mieke, Thomas und Jan beim Watt En Schlick 2022.
text Henrike Schröder
fotos Till Petersen
redaktion Isabel Roudsarabi
„Habt ihr Bock, dem Steg den letzten Rest zu geben?“ fragt Paula Hartmann das Publikum von der Floßbühne aus. Es ist der vorletzte Festivaltag; Bühne samt Steg müssen also noch einen Tag durchhalten. Das Publikum steht dicht gedrängt bis direkt vor die Bühne – mit den nackten Füßen im Watt, auf den Betonpollern und über den gesamten Steg verteilt. Und während Paula Hartmann davon singt, wie sie Club-Mate-wach mit der S-Bahn durch Berlin fährt, wippt der Steg verdächtig stark über dem Watt. Immer mehr Menschen quetschen sich darauf, gewillt ihn brechen zu sehen.
Wenn schon am Meer, dann mit schwimmender Bühne
„Till hatte sich überlegt…“ – so werden Projekte, Veränderungen und Erweiterungen beim Watt En Schlick Fest angestoßen. Darauf folgt gewöhnlich ein kurzes, nur so halb ernst gemeintes „Och ne, nicht schon wieder…“ von allen Beteiligten. Dann wird darüber nachgedacht, die Idee doch für sinnig befunden, losgeplant und gebaut. So oder so ähnlich war es auch bei der Floßbühne. „Das war eine spannende Herausforderung. Wir mussten erstmal überlegen, wie viel die Bühne aushalten muss, wie sie schwimmt und auch, wie man sie wieder auseinander bauen und jedes Jahr wieder neu zusammenbauen kann. Einmal so ein Ding zu bauen ist kein großes Kunststück. Aber das ganze zerlegbar und transportabel zu machen, das ist schon was“, erklärt mir Thomas. Er ist Zimmermann. Sein Job beim WES begann damit, dass Till eine Litfasssäule brauchte, die er baute. Dann folgte die Palettenbühne, die Floßbühne und La Mer. Und so ist er einfach geblieben. „Außerdem muss die Konstruktion auch bei Flut funktionieren“, schiebt Mieke nach. Sie arbeitet im Bereich Künstler*innenmanagement beim Watt En Schlick, ist schon seit Anfang an dabei und war mittlerweile schon in fast jedem Bereich tätig.
Thomas, Zimmermann
Mieke, Artist Care
Jan, Technische Leitung
Flut ist bei der Planung von Festivalbühnen generell ein eher unübliches Problem. Da das Festivalgelände des WES jedoch maßgeblich durch die Gezeiten bestimmt wird, ist sie hier ein entscheidender Faktor. „Als erstes hatten wir nur den Kubus in der Mitte, ohne Terrasse“, erläutert Thomas die Entstehungsgeschichte. Nach dem Kubus kamen die Fundamente hinzu – also diese Betonpoller mit den Fahnen drauf – damit wir die Bühne vernünftig fest bekommen.“ Das wurde notwendig, nachdem sie im ersten Jahr erhebliche Probleme hatten, die Bühne so zu befestigen, dass sie nicht umhertreibt. „Das mussten wir erstmal lernen,“ meint Thomas. „Dann kamen die Stege dazu, anschließend die Terrasse und in diesem Jahr die Türme. So ist die Bühne ständig erweitert worden.“
Floßbühne 2017
Floßbühne 2021
Floßbühne 2022
Eine Bühne auf schwimmenden Agavensirupfässern
Im Kern besteht die Floßbühne aus einer Holzfläche, die mithilfe von Fässern als Hohlkörper schwimmt, erklärt Thomas. „Ich musste natürlich gucken, was für Fässer sich dafür eignen. Ich kann ja nicht mit Mineralölfässern ins Wattenmeer gehen. Wir haben einen Händler gefunden, der Fässer hat, in denen vorher Agavensirup gelagert wurde. Wenn davon ein bisschen was heraustropft, ist das nicht schlimm.“ Davon ausgehend entwickelte er eine Konstruktion, in der die Fässer sicher liegen, einfach festgemacht aber auch wieder gelöst werden können. So sind alle Elemente der Bühne transportabel und koppelbar – im Prinzip so wie ein Tiny Haus in Holzrahmenbau, erklärt er ganz nüchtern und selbstverständlich, als könne er nicht ganz verstehen, dass jemand Interesse an dieser absolut banalen Bühnenkonstruktion hat. „Wenn die Plattform steht, ist die Bühne in zwei Stunden fertig“, erklärt er weiter. „Wir bauen sie am Strand zusammen, müssen dann abwarten, bis die Flut kommt. Dann schieben fünf bis sechs Leute sie mit Hand rein.“
Nachdem klar ist, wie die Bühne aussehen soll, wird Jan hinzugezogen. Er übernimmt die gesamte technische Leitung beim WES und ist außerdem Stage Manager der Hauptbühne. Als er von der Idee mit einem schwimmenden Ponton als Bühne hörte, wurde erstmal tief durchgeatmet. „Die Bühne bringt schon Schwierigkeiten mit sich: Wie kriege ich Strom, Bands und Licht drauf? Bei allen Punkten sind wir immer noch in der Findungsphase, weil die Bühne jedes Jahr wieder anders aussieht“, erklärt er. „Strom und Wasser vertragen sich ja per se nicht gut. Deswegen stehen die Boxen dieses Jahr auf so abgefahrenen Gerüst-Türmen. So kann kein Spritzwasser die Boxen erreichen.“ Und damit sie zum Rest der Bühne passen, hat Thomas mit seinem Team noch schnell ein paar Tafeln drum herum genagelt. „Die Installation von der Lichttechnik in einem Holzbalken ist auch nicht so easy, im Gegensatz zum standardisierten, genormten Rohr einer Truss“, erklärt Jan weiter. „Da gibt's passende Schellen für – und das hier ist halt ein Bastelprojekt.“
Ganz ohne Copy/Paste-Mechanik wird die Bühne von Jahr zu Jahr neu zusammengebastelt, wieder hinterfragt und an die neuen Gegebenheiten angepasst – frei nach dem Motto: „Einfach mal machen und dann klappt das schon. Was soll passieren?“ erklärt Jan und ergänzt im selben Atemzug: „Wir hatten ein Jahr, in dem sich die Band mit Backline ganz vorne auf der Floßbühne positioniert hatte. Dann kam das Wasser von hinten und die gesamte Bühne ist nach vorne weggekippt. Während des Konzertes standen wir deswegen mit acht schweren Jungs hinten drauf, um das Ding waagerecht im Wasser zu halten. War ganz lustig“ fügt er schmunzelnd, etwas leiser hinzu. „Aber passiert halt.“
Vom einsamen Singer/Songwriter zur elfköpfigen Techno-Marching-Band
Während der Pandemie fand 2020 das Arte Zeitgleich Festival statt – ein digitales Festivalformat, bei dem drei Festivals, reduziert auf je eine Bühne, gleichzeitig stattfinden und im Livestream übertragen werden. Darunter auch das Watt En Schlick, erklärt Mieke, „mit einem kleinen Kontingent an Leuten. Dafür haben wir die Floßbühne genutzt und verschiedene Bands darauf spielen lassen – unter anderem Meute.“ Für den Zweck wurde die Bühne natürlich nochmal umgestaltet und vergrößert. Damit alle Mitglieder der elfköpfigen Band Platz finden, wurde ein Teil auf Klötzen im Watt ausgelagert. „Dadurch standen manche der Musiker vereinzelt auf Inseln. Das war einfach sehr cool“, erklärt Mieke.
Auf die Frage, was ihr bisheriges Lieblingskonzert auf der Bühne ist, fallen sich Mieke und Thomas immer wieder überschwänglich ins Wort. „Ich hatte ganz kurz Zeit, 2021 bei Annenmaykantereit von oben zu gucken – das fand ich schon sehr faszinierend. Ich finde es immer toll, wenn man sieht, dass zwischen den Musikern und dem Publikum etwas entsteht – und da war so ein Spirit. Das hat mich total umgehauen,“ erklärt Mieke. „Ich finde Henning Mays Stimme hat, ähnlich wie Sven Regeners, sowas tiefes, fast maritimes – das passte total gut“, ergänzt Thomas. „Aber was ich wirklich ganz toll fand war das Jahr davor als Meute da rumkrakeelt hat. Das war großartig. Diese Gang auf meiner Bühne!“ „Während sie gespielt haben kam gerade das Wasser,“ fügt Mieke direkt hinzu. „Dann wurde es dunkel und die Musiker standen auf den Podesten. Das war so ein magischer Moment.“ „Ich feiere das aber auch total, wenn das Ding schwimmt! Das ist so cool“, grätscht Thomas wieder rein.“ „Ja, das ist richtig cool“, meint auch Mieke. Oder wenn es gerade anfängst zu schwimmen…“. Man spürt die Euphorie, mit der sie sich über diese schwimmende Bühne freuen, die sie selber erschaffen haben. „Ursprünglich war das Floß für Singer/Songwriter mit Gitarre und Mikro, Lesungen oder Filmvorführungen angedacht. Jetzt spielen komplette Bands mit einer riesigen Backline darauf, wie letztes Jahr Annenmaykantereit. Dass das Ding überhaupt noch geschwommen ist, war der Hammer“, ergänzt Jan. „Es hat sich enorm entwickelt – wie das ganze Festival.“
Für die nächste Ausgabe muss vermutlich der Steg erneuert werden. Denn wenn Paula Hartmann einen dazu auffordert dem Holzsteg den letzten Rest zu geben, dann wird das schließlich auch gemacht. Und obwohl er für den letzten Festivaltag nochmal notdürftig geflickt wurde, hat Thomas vermutlich schon eine Alternative im Kopf.