Sexismus, Faschismus und Kommerz – drei Dinge, die auf dem Wutzrock nichts zu suchen haben. Mit über 40 Jahren auf dem Buckel zählt das Hamburger Umsonst & Draußen Festival zu den ältesten seiner Art. Zu erleben gibt’s Kunst, Politik, Poetry Slam und natürlich auch Musik.
interview Celina Riedl
redaktion Isabel Roudsarabi
fotos Wutzrock Festival
Seit letztem Dienstag ist das erste Line-Up draußen. Mit dabei: Gisbert zu Knyphausen, Slime, Le Fly und viele mehr.
Für Booker Florian Heinrich aus dem Wutzrock-Team ist das Festival das „bestgehütete Geheimnis“ - ein Geheimtipp eben, familiär und gemütlich, kein riesiges Spektakel. Im Interview haben wir über politisches Engagement gesprochen, wie schwierig es ist, mit wenig Geld auf der Bühne Gender-Gerechtigkeit herzustellen und wie es war, eine Woche nach dem G20-Gipfel Feine Sahne Fischfilet auf dem Festival zu haben.
Das Festival als Umsonst & Draußen, als Kultur für alle und die gemeinsamen Werte. Wer das unterstützt, ist bei uns auch gern gesehen.
Florian, Du kümmerst dich beim Wutzrock um’s Booking. Ist der Name bei euch Programm?
Wir tragen zwar „Rock“ irgendwie im Namen, aber das Genre ist bei uns nicht in Stein gemeißelt. Wir achten schon drauf, dass das Programm bunt und vielfältig ist, und es gibt eigentlich nichts, was nicht passieren darf – außer respektloses Verhalten. Wir sind mit Wutzrock ganz klar anti-rassistisch und anti-sexistisch, das heißt, rechtes Gedankengut hat bei uns auf der Bühne und vor der Bühne ausdrücklich keinen Platz. Aber ob die Bands jetzt Reggae, Ska, Indie, Pop, Rock, Electro oder Punk spielen… da gibt’s alles. Hauptsache, es sind Leute, die unsere Idee gut finden: Das Festival als Umsonst & Draußen, als Kultur für alle und die gemeinsamen Werte. Wer das unterstützt, ist bei uns auch gern gesehen.
Einige der Headliner aus den letzten Jahren, Dritte Wahl, Feine Sahne Fischfilet, oder Adam Angst, sind Bands, die eigentlich nicht bezahlbar sind. Aber sie unterstützen uns, weil sie die Idee und unser Projekt gut finden. Nur mit dieser Unterstützung kann das Wutzrock überhaupt stattfinden. Gerade bei den Headlinern müssen Sympathie und Offenheit für ein gemeinschaftliches, nicht kommerzielles und selbstverwaltetes Projekt da sein.
Dadurch unterstützen wir aber auch sehr viele Musiker*innen aus der ganzen norddeutschen Region. Zum Beispiel spielen bei uns jedes Jahr die Gewinner vom Krach & Getöse Preis, ein Preis zur Förderung von Nachwuchsmusiker*innen hier in Hamburg.
Wie läuft das Booking bei euch ab – zieht ihr die Bands an Land oder kommen sie auf euch zu?
Ich würde sagen, eine gesunde Mischung aus beidem. Wir bekommen sehr viele Anfragen und sehr viele Bewerbungen und wir nehmen auch alle wahr und es werden auch alle angehört. Wir freuen uns auf jeden Fall sehr über die Bewerbungen und hoffen auch, dass es weiterhin so einen regen Zuspruch gibt. Aber um dieses Festival weiterhin stattfinden zu lassen, müssen wir eine gewisse Prominenz auf den Platz bringen, damit auch bei schlechtem Wetter die Leute den Weg zu Wutzrock finden. Wir haben zwar einen großen Zeltplatz zum Übernachten, aber wir sind natürlich auch abhängig davon, dass Tagespublikum vorbeikommt und das bleibt leider aus, wenn das Wetter schlecht ist oder man die Band nicht kennt. Deswegen, und um zu zeigen, dass Kultur nicht nur konsumiert werden kann, gibt es immer ein paar Top Acts. Die müssen wir in der Regel aktiv angehen und manchmal mit unserem Projekt überzeugen, damit sie bei uns auftreten. Diese Überzeugungsarbeit streckt sich manchmal über Jahre.
Trotzdem habt ihr immer wieder einige große Headliner mit dabei und das, ohne Eintritt zu verlangen. Wie finanziert ihr das Wutzrock?
Das Festival finanziert sich ganz überwiegend durch den Getränkeverkauf. Alle Besucher*innen sind dazu angehalten, ihre Getränke bei uns zu kaufen, um so das Festival zu unterstützen. Für die Stände gibt es eine kleine Standgebühr, aber diese Einnahmen stehen in keinem Verhältnis zu den Gesamtkosten.
Außerdem gibt es Firmen aus dem Eventbereich, die uns beispielsweise ihr Equipment oder die Technik leihen, weil sie selbst über die Jahre aus dem Wutzrock heraus entstanden sind. Sie unterstützen das Festival auf Spendenbasis. Unsere Bühnen- und Soundtechniker sind ebenfalls Leute, die ehrenamtlich arbeiten. Oder unsere Homepage, die umsonst gehostet wird, solche Sachen eben.
1979 haben die Leute das erste Wutzrock auf die Beine gestellt, um zu zeigen, wie viele sie sind und wie gut vernetzt.
Neben Bühnen und Ständen habt ihr auch ein Politzelt, in dem sich Gäste informieren, austauschen und engagieren können. Was gibt es dort in diesem Jahr zu sehen?
Wir haben dieses Jahr ein Hauptthema, und zwar ist das die Solidarität mit anderen selbstverwalteten Jugend- und Kulturzentren. Dazu wird Heinz Ratz vorbeikommen, er ist Musiker und Teil der Band Strom & Wasser. Was ihn auszeichnet ist, dass er sich für bestimmte Themen stark macht. Aktuell ist das die Unterstützung von Jugend- und Kulturzentren. Gerade in Ostdeutschland, wo AfD und CDU im Landtag sitzen, werden Gelder für solche Zentren gestrichen. Wir wollen diese Zentren auf dem Wutzrock unterstützen, zusammen mit Heinz Ratz, der einen Info-Stand dazu machen wird. Wir unterstützen diese Idee, weil das Wutzrock selbst vor 40 Jahren aus einer Bewegung für ein Jugendzentrum entstanden ist: 1979 haben die Leute das erste Wutzrock auf die Beine gestellt, um zu zeigen, wie viele sie sind und wie gut vernetzt. Das war anfangs ziemlich rudimentär, allerdings gab es damals auch noch keine richtige Bühnentechnik oder Leihbühnen. Daraus sind eben die Firmen und Start-Ups entstanden, die heute unsere Sponsoren sind. Alle Demos und das Festival haben über die Jahre Gehör gefunden. Es entstand ein Haus für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum, das bis heute Unser Haus e.V. ist, mit dem Café Flop, wo noch heute das ganze Jahr über das Wutzrock geplant und organisiert wird.
Man ist zusammen, weil man zusammen sein will.
Ihr seid eines der wenigen Festivals in Deutschland, das sich neben der Musik auch stark für bestimmte Werte und politische Themen einsetzt. Fehlt es deiner Meinung nach in der deutschen Festivallandschaft an mehr politischem Engagement?
Ich denke, ja. Gerade bei den großen Mainstream Festivals steht eher so eine Feierkultur und ein hedonistischer Anspruch im Vordergrund und die Musik ist da jetzt kein Instrument für eine bessere Welt, sag ich mal so. Aber der Punkt ist, ob das überhaupt der Anspruch an die Musik ist. Das ist ja eine sehr philosophische Frage, der man da nachgehen kann.
Beim Wutzrock feiern wir auch, aber die Musik ist Teil vom Ganzen. Die einen zahlen nichts, die anderen kriegen nichts und man ist zusammen, weil man zusammen sein will. Der Anspruch von “Kultur von allen für alle” ist bis heute erhalten geblieben. Das Wichtigste bei uns ist letztlich: Man kann ein Festival auf die Beine stellen, und zwar ohne kommerziell zu sein, weil es Werte zu vertreten gilt, in der heutigen Zeit – da brauchen wir ja gar nicht drüber reden. Dass es einen Rechtsruck gibt, in Deutschland, in Europa und auch außerhalb, und dass es dagegen anzuhalten gilt, das ist selbstverständlich.
Aber wir sind nicht dogmatisch. Das Festival hebt jetzt nicht den Finger und versucht, den Leuten was aufzudrängen. Sondern wir machen das einfach, um zu zeigen, dass es alle machen könnten, wenn sie zusammen arbeiten würden. Alleine kriegst du das nicht hin. Das sind unsere Werte, das ist auch offiziell, das verstecken wir nicht. Das ist die Botschaft, die wir auch in den Workshops diskutieren, die wir aber nicht missionarisch in die Welt raustragen.
Was ist dir von den bisherigen Festivals besonders im Gedächtnis geblieben?
2015 ist uns ein kompletter Festivaltag weggebrochen, aufgrund von schlechtem Wetter, Sturm und Orkan. Davor gab es bereits Vorkommnisse in anderen Teilen Europas. In Belgien ist zum Beispiel eine Bühne eingekracht und dabei sind Menschen zu Tode gekommen und auch in den USA ist ein Orkan über ein Festival hinweggefegt. Das waren dann so Warnzeichen, die dazu geführt haben, dass die Polizei und die Behörden uns aufgefordert haben, das Wutzrock abzusagen. Ein Festival wie unseres trifft sowas natürlich extrem – weil wir keine Tickets verkaufen und dann ja auch überhaupt keine Einnahmen stattfinden. Gerade der Samstag ist eigentlich der Tag, der das ganze Festival trägt. Da war es zum ersten Mal in der ganzen Geschichte so, dass es wirklich abgesagt, nicht nur unterbrochen oder verschoben wurde. Und da war es dann sehr schön zu sehen, dass am nächsten Tag trotzdem noch Bands aufgetreten sind, weil das Wetter dann besser wurde. Und weil die große Bühne schon abgebaut war, haben wir auf der Kleinen noch Programm gemacht und es gab unglaublich viele Leute, die noch gekommen sind. Die Bands haben gespielt und haben auf ihre Gage verzichtet – das war schön, weil uns am Ende unglaublich viel Geld gefehlt hat. Samstagabend hätten Feine Sahne Fischfilet spielen sollen, sie waren schon auf der Autobahn auf dem Weg zu uns. Ich musste anrufen und ihnen direkt sagen: Ihr könnt nicht spielen, ihr könnt direkt weiter ins Hotel fahren, hier findet nichts statt.
Das war schon mal ein spezieller Moment.
Aber wirklich grandios wurde es dann dadurch, dass die Band zwei Jahre später gesagt hat, dass sie wieder kommen, dass sie das Konzert doch noch geben wollen, und zwar im Juli 2017 am Wochenende direkt nach dem G20-Gipfel in Hamburg. Bei uns hat dann die Spitze der linkspolitischen Szene Deutschlands gespielt – mit Feine Sahne Fischfilet, Adam Angst, Waving the Guns, Egotronic und so weiter und so fort. Das war auf jeden Fall ein sehr spezielles Festival. Im Hintergrund zwei Hundertschaften, die gedroht haben das Festival zu räumen. Da mussten unsere Jurist*innen und Festivalmitorganisator*innen bei der Polizei alle Kunst an Überzeugung und Überredung an den Tag bringen, damit das Festival überhaupt stattfinden konnte. Aber es hat super geklappt, es ist nichts passiert - obwohl allen noch die unglaublichen Polizeieinsätze beim G20-Gipfel eine Woche vorher präsent waren. Es wurde eines der friedlichsten Festivals! Ich hab noch mit Monchi von Feine Sahne Fischfilet gesprochen und hab gesagt: “Ey, ihr müsst echt aufpassen, ihr macht eure Musik, ihr singt eure Texte, aber zwischen den Liedern – passt auf, was ihr sagt!” Uns wurde von der Polizei damit gedroht, das Festival zu räumen, wenn sie sich verbal angegriffen fühlen. Am Ende ist aber zum Glück alles gut gegangen.
Letztes Jahr fand ich’s total super, dass wir einen Tag hatten, an dem nur Frauen auf der Hauptbühne gespielt haben.
Was wünscht Du dir für die zukünftigen Wutzrock Festivals? Gibt es Bands oder Musiker*innen, die Du unbedingt mal auf der Bühne sehen willst?
Bei mir wäre das am liebsten Manu Chao. Ich muss aber dazu sagen – ich find es immer gut, wenn Bands bei uns spielen, in der nicht nur Männer sind. Letztes Jahr fand ich’s total super, dass wir einen Tag hatten, an dem nur Frauen auf der Hauptbühne gespielt haben – Dota und Sookee und Chocolate Remix aus Argentinien, und das zur Prime Time. Aber das ist wirklich sehr schwierig. Gerade in der Größe und in diesem Genre – Punk, Rock, Ska, Reggea, was links gut funktioniert, sag ich mal – ist das extrem männerdominiert. Wenn man jetzt nach Amerika guckt: mit Rihanna und Taylor Swift und Ariana Grande, da gibt’s natürlich ´ne Menge Frauen, die in der Popmusik ´ne starke Rolle spielen. Aber in dem Bereich bei uns ist das ´ne Sache, die sehr schwierig ist, auf die ich aber auf jeden Fall einen großen Wert lege. Ich beschäftige mich damit extrem viel, ich kann da auch stundenlang drüber reden. Wir pushen das jetzt nicht mega, aber wir haben den Anspruch, dass man das ausgewogen aufbaut. Leider wird das noch komplizierter, wenn du nicht das Budget hast, zu zahlen, was du möchtest, sondern darauf angewiesen bist, dass die Band zu dem Zeitpunkt auf Tour sein muss, am besten noch im Norden, und nicht unbedingt eingeflogen werden muss.
Ich glaub schon, dass es da im Bereich Major Festivals eine viel größere Bringschuld gibt, als das bei uns der Fall ist. Die Festivals sollten Frauen zur Prime Time auf die Bühne holen und damit ein Zeichen setzen. Erst wenn Frauen die Möglichkeit haben zu zeigen, dass sie geile Mucke machen, finden sie Nachahmerinnen und können gleichberechtigt die Bühnen erobern. Da gibt’s natürlich auch schon einige Festivals, die das machen. Aber das sind halt nicht die Major Act Festivals, sondern die guten, kleinen Perlen der Kultur.
Bisher veröffentlichtes Line-Up:
Gisbert zu Knyphausen, Slime, Le Fly
Haszcara, Baked Beans
Il Civetto, Danubes Banks, Strom & Wasser