Roskilde. Immer wieder Roskilde. Kein Festival bietet so viel Erzählstoff wie das dänische Roskilde Festival. Da, wo Woodstock weiterlebt, wird sich nicht an Traditionen geklammert und auf den Lorbeeren unzähliger Preise und dem jährlich ausverkauften Festival ausgeruht. Ein Grund dafür, dass dieses Festival nie auserzählt ist, ist das ständige Voranschreiten, die Weiterentwicklung dessen, was andere als perfekt bezeichnen würden.
text Johannes Jacobi
redaktion Tina Huynh-Le
fotos Till Petersen, Dominik Wagner, Alexander Schneider
Neben wirklich unzähligen Programmpunkten, themenbezogenen Areas, Projekten und Initiativen, die alle für sich den Stoff für ganze Lehrbücher hergeben, spielen auf dem Roskilde natürlich auch die Bühnen eine tragende Rolle. Aber “Bühne” wird hier anders verstanden als auf den meisten Major Festivals. Roskilde-Stages sind aufgeladen mit Geschichten, haben fast schon eine eigene Persönlichkeit und sind eben alles andere als eine Bühne mit mäßigem Soundsystem und ein paar Standard Lampen.
Es ist unklar, ob es finanzielle Gründe hat oder eine Sache von Anspruch und Kapazitäten ist, dass die Bühnen auf Open Air Veranstaltungen einander leider viel zu oft fast bis zur letzten Lampe gleichen. Ohne die großen Sidewings mit dem zugehörigen Festivalnamen wären die meisten dieser Bühnen nicht voneinander zu unterscheiden - das ist schade und führt auch dazu, dass Konzerte so beliebig werden, wie die Orte, an denen sie stattfinden.
Hier geht es natürlich auch nicht darum, den Tisch der DJs und DJanes mit einer 20 Meter hohen Gerüst-Wand zu verkleiden und mit Flammenwerfern und Springbrunnen ein Märchenszenario zu schaffen, bei dem sich die stumpfeste aller Musik leichter konsumieren lässt. Hier geht es darum, die Bühne als Ort für große Kunst auch so zu verstehen und diesen Ort ernst zu nehmen.
Und das führt uns zurück nach Roskilde: Hier scheint es nämlich Gesetz, dass für jede einzelne Bühne die berühmte Extrameile gelaufen wird. Jede Bühne hat hier ein eigenes Konzept und selbst, wenn alles zu passen scheint, wird von einem Jahr aufs nächste alles umgeworfen und neu gedacht. Gut laufende Bühnen werden von neuen Ideen abgelöst, die Standorte ändern sich und das Publikum wird mit an Frechheit grenzendem Selbstverständnis gefordert. Veränderung und Entwicklung gehören zur Tagesordnung - kein Platz für Selbstgefälligkeit, stattdessen ein Ort für Selbstverwirklichung der besten Köpfe für Sound- und Lichtdesign.
Kurz vor unserer Abreise zum diesjährigen Festival werfen wir einen Blick auf die Bühnen des Roskilde. Alle Bilder und Fakten stammen aus dem Jahr 2018 - auch wenn ein Blick auf den Lageplan 2019 bereits verrät, dass alles wieder ein bisschen anders wird.
868 Boxen der Firma Meyer Sound aus Kalifornien waren auf den acht offiziellen Bühnen des Festivals im Einsatz. Gekoppelt an mehrere Schulungen der Crew im Vorab, wagte Roskilde den Schritt, als erstes Festival dieser Größe, die komplette Umstellung auf das innovative System der Firma. Laut Firmenwebsite ist das einzige weitere europäische Festival, das mit Meyer ausgestattet wird, das Montreux Jazz Festival in der Schweiz - welches seit Jahrzehnten für höchste Qualität in allen Belangen steht.
Aber genug Geplänkel. Wie schaut das aus, was sind die Fakten? Eine kurze Reise durch die Welt der Roskilde-Stages:
Orange Stage
• Erstmals errichtet: 1978 (2001 um 33% vergrößert) • Kapazität: 60.000 frontal / bis zu 100.000 in der Breite • Crew: 1.000 • Anzahl Konzerte 2018: 14 • Lichtdesign: Kasper Lange • Anzahl Lampen: 400+ • Gewicht des Zeltes: 3,5 Tonnen • Screens: 1 LED-Screen auf der Bühne (72 m2) + 2 Seitenscreens für das Publikum (69,12 m2) • Aufbau: 14 Tage mit 120 Freiwilligen
Als Hauptbühne des Roskilde fungiert die ehemalige Tourneebühne der Rolling Stones, welche das Festival 1978 erwarb und seitdem einmal vergrößert hat. Das orangene Zelt hält gleichzeitig als Symbol und Logo für das Festival her. Das viel besprochene “Orange Feeling” ist daran angelehnt. Die Fläche vor der Bühne zählt zu den größten Flächen vor einer Festivalbühne weltweit und fasst ca. 100.000 Menschen, was bedeutet, dass selbst die weltweit größten Acts selten vor mehr Publikum gespielt haben.
Eröffnet wird die Bühne oft von kleinen, lokalen Acts, aber auch mal von The Orchestra of Syrian Musicians with Damon Albarn oder, wie in diesem Jahr, vom Publikum selbst mit gemeinsamem Singen am Nachmittag.
Auswahl an bisherigen Acts auf dieser Bühne: David Bowie, Nirvana, The Rolling Stones, Ramones, Stevie Wonder, U2, Metallica, Rammstein, Arctic Monkeys, Major Lazer, The Clash, Nina Hagen, Sex Pistols, Outkast, NAS, The National, Rihanna, Queens of the Stone Age, Bob Dylan, The Cure, Eminem, Bruno Mars, Nick Cave, Gorillaz, Jack White, The XX, Arcade Fire, Foo Fighters, The Weekend, Justice, Blink-182, Red Hot Chili Peppers, Slayer, Macklemore & Ryan Lewis, Neil Young, James Blake, M83, LCD Soundsystem, Moderat, Kraftwerk, Paul McCartney, Muse, Kendrick Lamar, Florence + The Machine, Pharrell Williams, Slipknot, Björk, The Roots, Bruce Springsteen, Iron Maiden, Kings of Leon, M.I.A. The Strokes, Portishead, Prince, The Prodigy, Patti Smith, Coldplay, Oasis, Pet Shop Boys, Kanye West, Jay-Z, Chemical Brothers, Radiohead, Beastie Boys, The Who, Pixies, Blur, Massive Attack, Santana, Wu-Tang Clan, The Flaming Lips, Morrissey, Tool, Roger Waters, Black Sabbath, Green Day, Snoop Dog, Ice Cube, New Order, Travis, Robbie Williams, Guns N’ Roses, Lou Reed, Pearl Jam, R.E.M., Marilyn Manson, The Verve, The Smashing Pumpkins, Van Halen, The Cranberries, Aerosmith, ZZ Top, Peter Gabriel, Ray Charles, Joe Cocker, Sting, Bryan Adams, TOTO, Iggy Pop, Eric Clapton.
Arena
• Erstmals errichtet: 2000 (Ersatz für die Green Stage, 2003 in “Arena” getauft) • Kapazität: 17.000 im Zeltinneren / 30.000+ mit der Fläche um das Zelt • Crew: 400 • Anzahl Konzerte 2018: 21 • Lichtdesign: Christian Olsson / Sune Verdier • Anzahl Lampen: 300+ • Gewicht des Zeltes: 60 Tonnen • Screens: 1 LED-Screen auf der Bühne (72 m2) + 2 Seitenscreens für das Publikum (23,96 m2) • Aufbau: 5 Tage
Arena ist eine der größten Indoor Stages auf europäischen Festivals und ermöglicht es, auch große Acts in intimer Atmosphäre zu erleben. Mit 17.000 fasst das Zelt exakt so viele Menschen, wie die Berliner Wuhlheide (so unglaublich das klingen mag). In der Vergangenheit bestanden einige große Acts darauf, in der Arena statt auf der Hauptbühne zu spielen. Viele Acts haben hier ihre bisher größten Europa-Shows gespielt und es gibt unzählige Geschichten von legendären Konzerten und der unvergleichbaren Atmosphäre innerhalb dieses Zeltes. Damon Albarn (Blur, Gorillaz etc.) musste z.B. 2015 lachend von der Bühne getragen werden, weil er nach 4 Stunden Konzert mit Africa Express nicht aufhören wollte zu spielen. Das Konzert begann um Mitternacht und umfasste mehr als 90 Musiker*innen, unter ihnen u.a. Mitglieder der Yeah Yeah Yeahs, Kwabs oder Trentemøller. Ein Abend, der exemplarisch für die besonderen Arena Shows steht.
Apollo
• Erstmals errichtet: 2012 • Kapazität: 5.000 • Crew: 250+ • Anzahl Konzerte 2018: 31 • Lichtdesign: Michael Rahr • Anzahl Lampen: 450+ (mehr als auf der Orange Stage) • Screens: 1 LED-Screen auf der Bühne (40,32 m2) • Aufbau: 6 Tage
Die erste Version von Apollo war eine von Hand gefertigte, aufblasbare Konstruktion, die auf dem Campingplatz täglich an anderen Orten auftauchte und von u.a. Acts wie Modeselektor bespielt wurde. Seit 2014 ist Apollo eine fest installierte Bühne auf dem Festivalgelände. Trotz der vergleichsweise geringen Kapazität hängt in Apollo mehr Licht, als auf jeder anderen Roskilde Bühne. Das Lichtdesign ist spektakulär und zum letzten Lichtcheck in der Nacht vor Eröffnung treffen sich einige der kreativsten Köpfe der anderen Bühnen zum Staunen und Fachsimpeln. Das neue Sound-Design wurde mit Meyer Sound entwickelt, darunter auch der VLFC-Speaker, der ursprünglich für die NASA entwickelt und auf dem Roskilde zum allerersten Mal überhaupt eingesetzt wurde. Auf Apollo spielen hauptsächlich Electro oder Urban Acts.
Gloria
• Erstmals errichtet: 2011 • Kapazität: 1.000 • Crew: 150+ • Anzahl Konzerte 2018: 33 • Lichtdesign: Frederik Hilmer / Obscura • Anzahl Lampen: 120+ • Aufbau: 6 Tage
Gloria ist die einzige Indoor Bühne des Festivals, errichtet in einer Scheune, in welcher kurz vor dem Festival noch Kühe für eine Landwirtschaftsmesse untergebracht werden. Seit der Einführung in 2011 steht diese Bühne für innovatives Lichtdesign und außergewöhnlich intime Konzerte. Unvergessen zum Beispiel Nils Frahm, begleitet von Mitgliedern der Band Efterklang.
Seit 2018 ragt die Bühne in den Raum herein, so dass das Publikum sich 270 Grad um die Bühne herum bewegen kann. Zusammen mit Meyer Sound wurde dafür ein neues Sound-Konzept entworfen. Eröffnet wird die Bühne jeden Morgen durch gemeinschaftliches Singen mit dem Publikum.
Pavilion
• Erstmals errichtet: 2003 • Kapazität: 2.000 im Zeltinneren / 4.000+ mit der Fläche um das Zelt • Crew: 250+ • Anzahl Konzerte 2018: 27 • Lichtdesign: Michael “Foot” Radl • Anzahl Lampen: 100+ • Aufbau: 6 Tage
Die Pavilion Zeltbühne erinnert an den Vibe eines Rock-Clubs, auf das Wesentliche reduziert für intensive Konzerterlebnisse. Bis vor wenigen Jahren wurde die Bühne in der Warm-up Zeit des Festivals auch als Talentbühne genutzt und hat u.a. Acts wie Icona Pop, Iceage oder MØ bei ihren Durchbrüchen geholfen. Heute finden sich hier während des offiziellen Festivals unzählige Geheimtipps, u.a. aus der Rock und Punk Ecke. Zum Beispiel Black Midi in diesem Jahr - Augen auf.
Avalon
• Erstmals errichtet: 2014 (selbes Zelt wie das der von 2007 - 2009 bestehenden Astorie Stage) • Kapazität: 6.000 im Zeltinneren • Crew: 300+ • Anzahl Konzerte 2018: 27 • Lichtdesign: Clement Irbil • Anzahl Lampen: 250+ • Aufbau: 6 Tage
Die Avalon Stage ist inspiriert vom Kabarett in Paris und Berlin in den 1920er und 1930er Jahren, mit einem Hauch von modernem New York. Rote Vorhänge und große Tücher an der Decke vermitteln das Gefühl, irgendwo abseits des Festivals zu sein. Hier werden mittelgroße Acts für oft sehr laute, wilde Shows platziert und hier spielen die meisten World-Music Acts des Festivals. Ausbrüche wie der experimentelle Ben Frost, Einstürzende Neubauten, Nils Frahm oder in diesem Jahr Jon Hopkins machen die Bühne aber auch abseits davon zu einem spannenden Ort.
Countdown
• Erstmals errichtet: 2016 • Kapazität: 5.000 • Crew: 80+ • Anzahl Konzerte 2018: 23 • Lichtdesign: Joachim Bay • Anzahl Lampen: 50+ • Screens: 1 LED-Screen auf der Bühne (27 m2) • Aufbau: 5 Tage
Countdown ist eine der Newcomer Bühnen und wird ausschließlich an den ersten vier Tagen des Festivals (Warm-up) bespielt. Nach dem letzten Konzert wird die Bühne, welche direkt auf der Kante vom Campinggelände zum Infield steht, zum Einlasstor Richtung Festivalgelände umfunktioniert, welches am Folgetag öffnet. Gäste des Festivals scherzen gern, dass das Einlasstor des Roskilde besser ausgestattet ist als so manche Hauptbühne anderer großer Festivals. Electronic und Urban Acts aus dem Norden bekommen hier ihre ersten Auftrittsmöglichkeiten, bevor sie in den Folgejahren auf den größeren Bühnen des Festivals platziert werden. Ein gutes Beispiel für Aufbauarbeit im Künstler*innenbereich.
Rising
• Erstmals errichtet: 2014 • Kapazität: 5.000 • Crew: 150+ • Anzahl Konzerte 2018: 21 • Lichtdesign: Søren Peklau • Anzahl Lampen: 40 • Aufbau: 4 Tage
Rising erinnert mit seiner Pyramiden-Form an die Glastonbury Hauptbühne und ist die am einfachsten ausgestattete Bühne des Roskilde. Hier finden Newcomer*innen aus den Bereichen Rock und Alternative ihren Platz, um erstmals das Festival zu spielen. Die Bühne wird ebenfalls nur an den Warm-up Tagen des Festivals bespielt und verschwindet, wenn das Infield zu den Hauptbühnen öffnet.